Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Nach Naphthalin-Krise kehrt wieder Normalität ein
KÖTHEN/MZ. - Annett Kübler kannte ihn noch, den Dinosaurier auf dem Schulhof der Ratkeschule. Mit ihren Klassenkameraden hatte die Köthenerin einst vor dem Urtier posiert. Am Tag ihrer Einschulung war es gewesen und die liegt mittlerweile 32 Jahre zurück.
Die heutige Grundschule war damals eine Polytechnische Oberschule (POS). Von 1979 bis 1989 hat Annett Kübler die Bildungseinrichtung besucht. Mit der Wende wurde aus der POS eine Grundschule. Das Gebäude blieb erhalten. Was verschwand, war der Dinosaurier.
Ein Verlust, wie nicht nur Annett Kübler findet. "Das hatte mich damals sehr bedrückt", erinnert sich Marlit Geßner an den Tag, als sie den Schulhof als neue Leiterin der Einrichtung betreten hatte. Der Dinosaurier war weg. Abgerissen. Das Markenzeichen der Schule gab es nicht mehr. Als Kind hatte sie der steinerne Koloss stets fasziniert. Auch in den Jahren als Hortnerin und später als Lehrerin gehörte der Dinosaurier für Marlit Geßner einfach dazu.
17 Jahre ist sie nun schon Leiterin der Ratkeschule. Einiges hat sich in dieser Zeit verändert. Einschneidend war vor allem das zurückliegende Jahr. Nachdem der gesundheitsschädliche Stoff Naphthalin im Fußbodenbelag nachgewiesen worden war, musste die Einrichtung umfangreich saniert werden. 240 Mädchen und Jungen galt es, auf andere Schulen zu verteilen.
"Es war sehr stressig", blickt Annett Kübler zurück. Die Klasse ihrer Tochter Victoria wurde in der Villa Naumann unterrichtet. Kastanienschule und Völkerfreundschaft hatten ebenfalls Klassen aufgenommen. Der Schülertransport stellte ein besonderes Problem dar. Zwischenzeitlich war auch fraglich, ob die Ratkeschule überhaupt wieder öffnen würde.
Jetzt hat der Spuk ein Ende. Es ist wieder Normalität eingekehrt. Und das wurde am Freitag und Samstag gefeiert. "Unser Blick war stets nach vorn gerichtet", machte Marlit Geßner zur Einweihungsfeier am Freitagabend deutlich. Vertreter der Stadtverwaltung, Mitarbeiter von Unternehmen, Schul- und Hortelternratsmitglieder hatten sich in der Aula eingefunden. Sie alle waren daran beteiligt gewesen, dass trotz aller Schwierigkeiten wieder Leben in die Ratkeschule einziehen konnte.
"Das war für alle Beteiligten eine Extremsituation. Auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung", ließ Oberbürgermeister Kurt-Jürgen Zander gegenüber der MZ verlauten. Neben der geplanten Sanierung der Naumannschule galt es nun, auch die Arbeiten in der Ratkeschule zu koordinieren. Das war nicht nur ein personeller, sondern auch ein finanzieller Kraftakt. Ohne Fördermittel wäre das Projekt undenkbar gewesen.
Ein Jahr hat die Sanierung gedauert. Herausgekommen ist eine Schule, die sich sehen lassen kann. Davon konnten sich die Besucher zum Tag der offenen Tür am Samstagvormittag überzeugen. Mit ihrer fünfjährigen Tochter Michelle war Ines Cäsar gekommen. Nächstes Jahr wird das Mädchen eingeschult. "Viel besser als bei uns damals", verglich Ines Cäsar die Räumlichkeiten mit denen ihrer damaligen Schule. Eines ist die Bildungseinrichtung gewiss: farbenfroh. Das liegt nicht zuletzt an den Türen, die Architekturstudenten gestaltet haben.
Für die Einweihungsfeier und den Tag der offenen Tür hatten die Mädchen und Jungen der Ratkeschule ein Programm einstudiert. Sie sangen, tanzten und hauten bei einer szenischen Inszenierung mächtig auf den Putz. Ehemalige Schüler und Lehrer waren am Samstag gekommen, um sich die Einrichtung anzusehen. "Es war die beste Zeit", blickte Patrick Nitschke sechs Jahre zurück. An eine Lesenacht in der Schule kann sich der angehende Kfz-Mechatroniker noch heute erinnern.
"Mir hat es hier sehr gut gefallen", machte auch Adelheit Hoppe deutlich. Ihre Zeit in der Ratkeschule liegt schon länger zurück. Zu POS-Zeiten hat die Köthenerin hier Mathematik und Chemie unterrichtet. Dass ihre einstige Wirkungsstätte beinahe geschlossen werden musste, ging auch Adelheit Hoppe nahe. Am Ende der langen Zeit des Bangens und Hoffens steht nun jedoch eine Grundschule, deren Zukunft gesichert ist.
Der starre Blick des Pelikans am Springbrunnen auf dem Lichthof wird noch viele Schülergenerationen begleiten. Sein Sockel hat freilich eine Sanierung nötig. "Das wird unser nächstes Ziel sein", merkte Marlit Geßner zum Tag der offenen Tür an. Überstürzt werden muss diese Aktion nicht. Hauptsache er bleibt, der Pelikan. Das gleiche Schicksal wie dem Dinosaurier soll ihm nicht widerfahren.