Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Mord oder Totschlag?
Dessau/Aken/MZ. - Laut Anklage hat Wolfgang R. die 76-Jährige im Streit so lange gewürgt, bis sie das Bewusstsein verlor. Anschließend fuhr er die Ohnmächtige im Kofferraum seines Autos zum Akener Hornhafen, warf sie ins Wasser der Elbe, wo sie ertrank.
Unterschiedliche Tatvorwürfe
Während die Staatsanwaltschaft von Mord ausgeht - eine Straftat, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet wird -, nimmt die 2. große Strafkammer unter Thomas Knief Totschlag an. Mindeststrafe hierbei: fünf Jahre. Die unterschiedlichen Tatvorwürfe ergeben sich aus aus unterschiedlichen Interpretationen des Geschehens. Staatsanwalt Dirk Bildhauer nimmt zwei Taten an: zunächst eine gefährliche Körperverletzung, nämlich das Würgen, als zweite das Ertränken, eine Tötung also, um eine andere Straftat zu vertuschen, womit ein Mordmerkmal erfüllt wäre. Hingegen betrachtet das Gericht momentan das Würgen und das Ertränken als einheitlichen Vorgang; weil damit keines der im Gesetz festgeschriebenen Mordmerkmale gegeben ist, kommt es zum Vorwurf des Totschlags.
Spezielle Suchhunde eingesetzt
Während der Ermittlungen wurden erstmals im Gerichtsbezirk Dessau so genannte Mantrailer-Hunde eingesetzt, hochspezialisierte Suchhunde, die in der Lage sind, die Spur eines Menschen noch nach Tagen oder Wochen aufzunehmen. In Deutschland wurde diese Ermittlungsmethode erst in den vergangenen Jahren wieder entdeckt und etwa im Umfeld der G8-Gipfels in Heiligendamm praktiziert. Aber auch wenn es bereits mindestens ein Urteil gab, das sich allein auf Mantrailer-Beweise stützte - unumstritten ist deren Einsatz nicht. So warnte 2009 der Mantrailer-Experte Thomas Baumann in der Zeitschrift "Der Hund": Beim Vermögen von Mantrailern stehe in Deutschland momentan statt Wahrheit Dichtung im Vordergrund.
So überraschte es am ersten Prozesstag nicht, dass die beiden Anwälte des Angeklagten ausgerechnet den Mantrailer-Einsatz nutzten, um einen Befangenheitsantrag gegen die Kammer zu stellen. Begründung: Bei einem Einsatz der Hunde seien mehrere Mitglieder der Kammer anwesend und von den Fähigkeiten der Hunde so beeindruckt gewesen, dass sie die Haftbeschwerde ablehnten. Von einer Unbefangenheit der Kammer könne deshalb nicht ausgegangen werden.
Der Antrag der Verteidigung wurde mehrere Stunden von einer anderen Kammer verhandelt, bevor dessen Ablehnung verkündet wurde. Wie üblich wurden dabei keine Details verkündet.
Am ersten Verhandlungstag wurden ausschließlich Zeugen aus dem Umfeld des Angeklagten vernommen, vor allem Nachbarn und Freunde. Als gesichert kann gelten, dass Wolfgang R. am 2. Juni 2011 eine "Männertags"-Radtour unternahm und dabei eine unbekannte Menge Alkohol trank. Am späteren Nachmittag tauchte er bei einer Party eines Freundes auf, blieb dort ungefähr eine Stunde und wurde dann vom Gastgeber weggeschickt, weil R. die Gäste mit großspurigen Sprüchen nervte.
Etwas später kam es zu einem lautstark ausgetragenen Streit zwischen Mutter und Sohn auf der Terrasse des gemeinsamen Hauses. Ganz ungewöhnlich war dies wohl nicht. Immer wieder musste R. Vorhaltungen seiner Mutter ertragen, wenn er am Wochenende von der Arbeit in die Heimat zurückkehrte, weil er angeblich zu viel trank und sie aus Treffen mit seinen Freunden ausschloss. Allerdings, so sagten die Zeugen übereinstimmend, reagierte R. unter Alkohol nie aggressiv.
Am nächsten Morgen fiel einer Nachbarin das Verschwinden der Mutter auf, mit der sie nahezu täglich Umgang pflegte. Mehrfach schaute sie vorbei; als R. aus dem Fenster schaute und nicht zu sagen wusste, wo seine Mutter sei, forderte sie ihn auf, zur Polizei zu gehen und eine Vermisstenanzeige aufzugeben.
Trotz der offenbar sehr komplizierten Verhältnisse in der Akener Reihenhaushälfte: Keiner der Dienstag vernommenen Zeugen traute R. ein Tötungsverbrechen zu.