Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Mal für ein Stündchen beim Nachbarn vorbeischauen
KÜHREN/MZ. - Für Margitta Ulrich ist der abendliche Ausflug zum Hof der Roses wie eine nachträgliche Geburtstagsfeier. Die guten Wünsche der Kührener Dorfgemeinschaft sind ihr sicher. Viele kommen, gratulieren noch, weil bisher die Gelegenheit fehlte, weil man sich seither nicht gesehen hat. Zum Advent in den Höfen aber lassen sich viele sehen.
Eine schöne Tradition sei daraus geworden, sagt fast jeder, der am diesem Abend in der Dorfstraße 33 b einen Glühwein trinkt, von der leckeren hausgemachten Tee-Kräutermischung probiert oder vom selbst gebacken Brot mit selbst gemachten Aufstrichen, den Lebkuchen, den Kräppelchen, den Plätzchen. Lieselotte Rose, die Tochter des Hauses, hat viel Anteil daran, dass der Tisch so reich gedeckt ist. Und sie hatte viele Helfer: ihre Kinder, die Mutter. "Das hat alles sie gemacht, ich hab nur den Hof gekehrt", schildert Thilo Rose, ihr Bruder, augenzwinkernd die Rollenverteilung für diesen Abend, an dem die gesamte Familie Gastgeber ist.
Lieselotte Rose freut sich, dass die Resonanz auf den vorweihnachtlichen Abend in den Kührener Höfen groß ist: "Oft sagt man sich, dass man eigentlich gar keine Zeit hätte, es noch so viele Dinge zu tun gäbe; aber dann war es doch wieder ein schöner Abend und man hat Kraft getankt."
Im dritten Jahr mittlerweile lädt das kleine Kühren zum Advent in den Höfen. Ortsbürgermeisterin Ingeborg Kapuhs erzählt, dass die Abende viel dazu beitragen, dass man sich versteht, sich austauscht. Es wird gemeinsam gesungen - auch diesmal bei den Roses. Als Pfarrer Rödiger und vor allem Familie Borchardt mit den Gesangsbüchern eintreffen, steht dem Kulturprogramm nichts mehr im Wege. Die achtjährige Meta Rose spielt im geöffneten Scheunentor Klavier, ihr etwas älterer Bruder Friedrich greift zur Flöte, die Mutter Lieselotte schon den ganzen Abend bei sich trägt.
Opa Walter genießt die Geselligkeit auf seinem Hof. "Es muss ja auch mal was los sein auf dem Dorf. Wenn man nichts macht", weiß er, "ist eben auch nichts." Seine Frau pflichtet ihm bei. "Es ist einfach schön. Ansonsten sieht man sich ja nicht, im Winter gleich gar nicht." Worüber man spricht? "Übers Wetter und übers Wasser."
"Jeder will wissen, wie es dem anderen geht", ergänzt Margitta Ulrich, die in Kühren groß geworden ist und oft bei der Mutter zu Besuch ist. "Was für die Städte die Weihnachtsmärkte sind, ist für uns der Advent in den Höfen." Wer einen stressigen Job habe, bekomme so die Gelegenheit, auf ein Stündchen beim Nachbarn vorbeizuschauen, um die Hektik des Alltags für eine Weile zu vergessen. "Kühren ist klein - und trotzdem sieht man sich manchmal eine ganze Weile nicht, weil jeder zu tun hat." Gerade vor Weihnachten. Sie, Margitta Ulrich, wünschte sich, dass andere Orte im Kreis dem Kührener Beispiel folgen und mit ähnlichen Aktionen etwas tun, um die Dorfgemeinschaft zu festigen, um sich miteinander verbunden zu fühlen. Denn das gelinge zweifellos, findet auch Ortsbürgermeisterin Ingeborg Kapuhs, die nur noch von Drosa und der dortigen Adventsfenster-Aktion zu berichten wüsste.
Martin Kühne genießt den Abend bei Temperaturen, die knapp unter null Grad liegen. Er erinnert sich gut ans vergangene Jahr, wo man bei Pfeiffers oder Dorands - so ganz genau weiß das heute keiner mehr - bibberte. Minus 22, vielleicht sogar minus 24 Grad seien es damals gewesen. Martin Kühne hofft nun auf gutes Wetter am Samstag. Dann ist sein Hoftor ganz weit geöffnet. Er hofft, dass erneut ganz viele Kührener vorbeischauen. Vor allem, weil Wochenende ist. Diese Termine, erzählt man, seien immer besonders begehrt und als erstes für den Advent in den Höfen vergeben.
Doch bis zum Wochenende sind noch andere Kührener an der Reihe, sich als vorweihnachtliche Gastgeber zu präsentieren. Jeder auf seine Weise. "Keiner", so Kühne, "will da den anderen übertrumpfen."