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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Französischer Cowboy auf Stierfang

Von LOTHAR GENS 08.11.2010, 18:26

WULFEN/MZ. - "Wir machen das hier wirklich schon jahrelang. Aber man lernt immer noch etwas dazu." Andreas Wenk, das Betäubungsgewehr in der Hand, ist doch ein wenig überrascht, dass er bei dem imposanten, knapp drei Jahre alten Heck-Rinder-Stier schon zur dritten Injektion greifen muss. Vor einer dreiviertel Stunde etwa hat das Tier per CO-Gewehr die erste Spritze von Wenk gesetzt bekommen - mit einem sauberen Blattschuss. Doch nachdem sich der stattliche Bursche anscheinend zur Ruhe gelegt hatte, erhob er sich wieder. Etwas taumelig, aber immerhin. Und nach der zweiten - schon geringeren - Dosis passierte selbiges noch einmal. Aber jetzt, nach der dritten, liegt er.

Handzeichen zur Verständigung

Da brauchen die drei Männer nur noch Handzeichen zur Verständigung und stürmen los auf das matte Tier, das am Montag, wie schon ein zuvor an anderer Stelle im Wulfener Bruch eingefangenes und ein Jahr jüngeres Mitglied der Heck-Rinder-Familie der Promigenius Naturschutz- und Landschaftspflege gGmbH, noch nach Oranienbaum gebracht werden soll.

Mit von der Partie ist einer, der das noch nicht jahrelang macht und noch jede Menge darüber lernen will: Guillaume Michel aus dem französischen Angers. Wacker führt der 21-Jährige das blaue Seil, an dem der Stier jetzt hängt. Und während Promigenius-Geschäftsführer Wenk und sein Mitarbeiter Jakob Noack dem Stier, der sich jetzt schon wieder wehrt, eine Decke um den Kopf wickeln (immer darauf bedacht, keine schmerzhafte Bekanntschaft mit den Hörnern des Tieres zu machen), versucht der junge Franzose, den Stier am Seil auf den Transport-Anhänger zu ziehen. Aber dazu reicht die Kraft allein dann doch nicht. Auch etwas später zu dritt ist das Bemühen nicht von Erfolg gekrönt. Das Seil wird an den Geländewagen gehängt, und jetzt klappt es besser, das widerstrebende Tier doch noch auf die Ladefläche zu ziehen.

Guillaume Michel ist voll bei der Sache. Zwar hat er nach der zweiten Injektion beim Stier noch gewitzelt: "Wir sollten ihm wohl ein Schlafliedchen singen." Aber jetzt hat er den Ernst der Lage voll erkannt und funktioniert, wie es sein muss. Kein Wunder. Es ist nicht sein erster Tierfang für die Primigenius gGmbH. Während seiner ersten Monate Praktikum hier hat er schon einige Fangaktionen mitgemacht, und bis Ende Dezember stehen auch noch welche auf dem Plan. Allein in dieser Woche will man auf insgesamt sechs Stiere und in der nächsten Woche auf sechs Konik-Pferde kommen, die im Wulfener Bruch eingefangen und bei Oranienbaum wieder freigelassen werden.

Jakob Noack erklärt den Hintergrund: Primigenius, die im Auftrag der Hochschule Anhalt ein Naturschutzgroßprojekt - die Beweidung im Wulfener Bruch und in der Oranienbaumer Heide mit Heckrindern und Konik-Pferden durchführt -, hat bei Oranienbaum eine neue Weidefläche hinzubekommen. Dort sollen die bei Wulfen eingefangenen Tiere hin, um künftig ihren Dienst zu tun: gegen die Verbuschung des dortigen Geländes anweiden.

Naturschutz hautnah erleben

Seine Arbeit macht Guillaume Michel sichtbaren Spaß. Und sie wird ihm sicherlich in seinem weiteren Leben nützlich sein. Denn: "Ich studiere Agrarwissenschaften in Frankreich", erzählt der junge Mann. Und, dass er dieses Praktikum hier in Deutschland bei Primigenius macht, um möglichst viel über Naturschutz in der Landwirtschaft zu lernen. "Das ist sehr wichtig für mich." Außerdem lerne er viel über die deutsche Kultur, habe u. a. schon Weimar, Halle und Leipzig besucht. Aber das wichtigste sei halt doch die Arbeit in der freien Natur. Die wird er übrigens noch fortsetzen: Während eines weiteren halbjährigen Praktikums in Afrika oder Asien.

Ob er dort auch Tiere einfangen wird, weiß Guillaume Michel noch nicht. Hier und heute hat es zumindest geklappt. Stier Nummer zwei ist auf dem Anhänger, und jetzt kommt noch Teil zwei der Aufgabe: Die beiden imposanten Tiere zunächst zum Tierarzt zur Untersuchung bringen und weiterfahren nach Oranienbaum ins "Reich" des dritten Promigenius-Mitarbeiters Peter Poppe, der bei der Fangaktion am Steuer des Geländewagens sitzt.

Am Zielort werden die Tiere vom Betäubungsmittel wohl noch ein wenig benommen sein. Aber die Erfahrungen von Wenk, Noack und Poppe sagen, dass sie dann schon selbständig den Transportanhänger verlassen können. Und, dass es ihnen dann wieder richtig gut geht.