Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Adebar hat den Abflug verpasst
ELSNIGK/AKEN/MZ. - Seit Tagen klingelt sich beim Akener Storchenexperten Ingolf Todte das Telefon heiß. "Ich glaube, ganz Elsnigk hat mich schon angerufen", sagt Todte. Und nicht nur das, auch aus Dessau und Osternienburg kommen seit September immer mehr besorgte Anrufe von Bürgern. Der Grund dafür ist ein Weißstorch, der offenbar den Abflug verpasst hat und nun täglich auf Futtersuche über die Wiesen und Felder rund um Elsnigk stolziert. Auch bei der Fensterbaufirma des Orters schaut er öfter vorbei, wie ein Mitarbeiter der MZ berichtete.
Sorgen um das Tier macht sich auch Ortsbürgermeister Karl Baukuß: "Vielleicht wird der Storch das nicht überleben", denkt er. Im Moment ziehen ihn aber offenbar die Wasserlachen auf den umliegenden Feldern des Ortes an, wo er vermutlich noch allerhand zu fressen findet.
"Ein Spätstarter", sagt Todte. Das kräftige Tier - ein Altvogel, der in diesem Jahr in Elsnigk gebrütet hat - macht dem Ornithologen im Moment noch keine ernsthaften Sorgen. "Das kommt immer öfter vor, dass Störche versuchen, hier zu überwintern", sagt er. Im Moment findet Adebar hier offenbar noch genügend Nahrung und zeigt somit keine Eile, obwohl sein Partner und die Jungen längst über alle Berge sind.
Familiensinn kennen die Rotschnäbel nicht, weiß Ingolf Todte. Ist die Aufzucht der Jungen beendet, fliegen Alte und Junge nicht selten in völlig entgegengesetzte Himmelsrichtungen davon. Die wenigsten zieht es noch bis Afrika. In Spanien haben viele Störche inzwischen ein Winterquartier gefunden, das ebenso komfortabel ist, ihnen die Strapazen eines langen Fluges erspart und eine vorzeitige Rückkehr Mitte März ermöglicht, während die "Afrikaner" erst im April eintreffen. Dann könnten die attraktivsten Horste schon besetzt sein.
Theoretisch ist es also auch für den Elsnigker Storch noch nicht zu spät. "In drei Tagen könnte er in Spanien sein" sagt Todte. Vom Füttern der Zugvögel raten Naturschützer wie Todte ab. Dennoch weiß er, dass einige Elsnigker sich um das Tier sorgen und es zum Beispiel mit Eintagsküken füttern.
"Die Leute stehen mit mir in Kontakt", sagt der Akener und ist sich ziemlich sicher, dass er es sofort erfahren wird, wenn den Elsnigker Spätstarter die Kräfte verlassen. Dann könnte man überlegen, ihn einzufangen und nach Loburg zum Storchenhof zu bringen. "Wenn er doch anfängt zu schwächeln, werde ich mich darum kümmern."
Dr. Michael Kaatz, der den Storchenhof in der kleinen Stadt nördlich von Zerbst betreibt, sieht das nicht unbedingt als notwendig an. "Das müsste schon ein sehr langer, sehr harter Winter werden, damit der Storch in Gefahr gerät", sagt der Experte. Sehr hart: Damit meint Kaatz 20 Zentimeter Schnee und zugefrorene Bäche, "ansonsten findet der Storch immer sein Futter". Einen Storch einzufangen, sei ziemlich schwierig, da müsse das Tier schon erheblich geschwächt sein und abgemagert. Dann könne er auch auf dem Storchenhof Platz finden.
Dort sind derzeit 14 kranke und verletzte Störche zu Hause. Eine Zahl, die einer gewissen Fluktuation unterliegt, denn es ist immer möglich, dass Störche hinzukommen und gesunde Störche den Hof wieder verlassen.
Der Elsnigker Storch ist derzeit nicht der einzige in Sachsen-Anhalt, der den Ruf zum Zug nach Süden verpasst hat. "Es sind landesweit etwa fünf Störche hier geblieben", weiß Michael Kaatz, "aber der aus Elsnigk ist der am meisten genannte." Wie bei Todte rufen auch in Loburg viele Vogelfreunde an, um über den Elsnigker Storch zu informieren oder aber, um einem Fachmann ihre Sorgen um den Adebar zu erzählen.
Der übrigens buchstäblich ein Einheimischer ist. Anhand der Beringung kann Ingolf Todte das Tier ziemlich exakt zuordnen. "Geboren wurde der Storch im Jahr 2006 in Dessau-Waldersee", sagt er. Erstmals hat er in diesem Jahr den Horst auf dem ehemaligen Kuhstall und späteren Möbellager in Elsnigk aufgesucht, um eine Familie zu gründen. Im Altkreis Köthen gab es in diesem Jahr 14 Storchenpaare, von denen neun Pärchen für Nachwuchs sorgten. Immerhin konnten 25 Jungstörche gezählt werden. Eine mittelmäßige Quote, wie Ingolf Todte einschätzt: "2010 war kein so richtig gutes Storchenjahr."
Informationen zum Storchenhof, der seit fünf Jahren nicht mehr staatlich ist, sondern privat geführt wird, und zu seinen Tieren gibt es auch im Internet auf der Seite: www.storchenhof-loburg.de