Zusammenkunft in Jessen Zusammenkunft in Jessen: Schreiben auf Schiefertafeln gelernt

Jessen - 61 Jahre nach ihrer Schuleinführung haben sich 23 ehemalige Klassenkameraden wiedergetroffen. Sie wurden in den Jahren 1946/47 geboren, bekamen am 4. September 1953 in der „Roten Schule“ auf dem Jessener Markt ihre Zuckertüte – und sie waren die Ersten, die 1963 die 10. Klasse an der neugebauten Max-Lingner-Schule absolvierten.
Dritte Zusammenkunft
Vorbereitet wurde dieses Treffen von Bärbel Schikora, Marlies Kühn, Wolfgang Schreiber und Wolfgang Bour. Alle gemeinsam besuchten die „Rote Schule“ und feierten im Weinhaus Zwicker das Wiedersehen. „Es war unser drittes Klassentreffen. Einige konnten leider nicht kommen, und 15 Schulfreunde leben nicht mehr. An sie und auch an einige Lehrer, die verstorben sind, haben wir uns in ehrendem Gedenken erinnert“, berichtet Wolfgang Bour.
Am 10. August 1901 - es war ein Schulfestsonntag – wurde der Grundstein für die „Rote Schule“ im Stadtzentrum von Jessen gelegt. Eingeweiht wurde das Haus am 22. Oktober 1902. „Es gab damals zehn große Klassenzimmer, ein Lehrerzimmer und eines für den Rektor. Im Keller befanden sich Werkraum, Lehrmittelzimmer und die Wohnung für den Hausmeister. Diese war über viele Jahrzehnte mit den Namen Lierath, Kleist und Lehmann verbunden“, berichtet Wolfgang Bour. Die ersten Klassenleiter der 1953er Schulanfänger waren Frau Hasse und Frau Striebel (später Deyring).
Bedingt durch den Umbau konnte der rote Klinkerbau – er dient heute hauptsächlich als Musikschule – nur teilweise besichtigt werden. Vieles hat sich verändert. Doch als die Frauen und Männer nach so vielen Jahren wieder die altbekannten Stufen hinauf- und hinuntergingen, gab es so manchen Moment des Innehaltens: Waren da nicht am Ende des Flures die Stimmen von Kurt Gramatte und Fritz Jagusch zu hören? Und sind dort nicht Paul Träger oder Toni Zieris gerade um die Ecke gehuscht? Zumindest in den Erinnerungen spulten sich solche Sequenzen ab. Die genannten Lehrer leben nicht mehr. Andere genießen ihren Ruhestand. Sie denken ihrerseits gewiss hin und wieder an die ehemaligen Schüler zurück.
Im Weinhaus Zwicker sitzt es sich viel gemütlicher als vor sechs Jahrzehnten im früheren Klassenzimmer. „Auch das Essen schmeckt viel besser als in der Schulküche“, ist zu hören. Kaum einer hat noch seine alte Schiefertafel, auf denen sie einst das Schreiben lernten. Stattdessen hantieren sie mit Digitalkameras und Handys. Schwarz-Weiß-Fotos machen die Runde, sie animieren zu weiteren Erinnerungen: „Jeden Montagmorgen mussten alle auf dem Schulhof klassenweise zum Fahnenappell antreten. Da wurden die Höhepunkte der neuen Woche genannt, aber für manche Schüler gab es auch unliebsame Überraschungen. Wer ,Mist’ gebaut hatte, musste nach vorn treten und wurde getadelt. Das war schon eine echte Bestrafung“, erinnert sich Wolfgang Bour und fügt hinzu: „Unser Herrmann Rost hat das sicher nicht vergessen. Deswegen durfte er bei Umzügen nicht die Pionierfahne tragen.“
Geschadet hat ihm das allerdings nicht. Der damals Gescholtene schaffte es trotz solcher Maßregelungen bekanntlich bis in den Bundestag. 16 Jahre lang arbeitete er im ersten Haus der Republik als Saaldiener. „Es stimmt, ich war kein braver Schüler“, bekennt der frühere Lausbub mit verschmitztem Grinsen: „Ich musste sogar oft während des Unterrichts in der Ecke stehen, den Kopf gesenkt und die Hände auf dem Rücken, immer etwa zehn bis 15 Minuten lang.“ Warum? „Damals kamen die bunten Gummis auf. Wir Jungs schnippten damit Papierkügelchen nach den Mädchen. Aber das war nur ein Grund von vielen.“
Jahre später öffnet Hermann Rost, gekleidet im dunkelbrauen Frack mit goldenen Knöpfen, auf denen der Bundesadler eingraviert ist, vielen Personen der Weltgeschichte die Tür: Helmut Kohl, Angela Merkel, Hans-Dietrich Genscher und sogar Queen Elisabeth II. Von der Begegnung mit Ihrer Majestät, der man eine gute Menschenkenntnis nachsagt, erzählt er: „Sie hat mich im Vorbeigehen sehr streng angeschaut, so nach dem Motto: Reiß dich bloß zusammen.“
Aus der Schweiz angereist
Die weiteste Anreise zum Klassentreffen hatte übrigens Wolfgang Dörr, der seit Jahren in der Schweiz lebt. Herbert Engel, der bei Zwickers gleich um die Ecke wohnt, konnte aus gesundheitlichen Gründen leider nicht dabei sein. Deshalb wurde er von einigen seiner ehemaligen Schulkameraden besucht. Am Ende vereinte alle der Wunsch, sich bei guter Gesundheit in absehbarer Zeit wiederzusehen. (mz)