Weihnachten in Familie Weihnachten in Familie: Relikt der Rittersleut' in Jessen

Jessen - Das Portal zum Jessener Schloss wird fast täglich von etlichen Leuten frequentiert, Bürger, die Angelegenheiten zu regeln haben, Mitarbeiter, Ratsdamen und Ratsherren, Brautpaare gehen hindurch. Aber dem Sandstein-Wappen über ihren Köpfen schenken nur wenige Beachtung, ebenso dem Wappen über einem Treppenaufgang im Schlosshof. In beiden Fällen handelt es sich um Familienwappen früherer Schlossbesitzer.
Mit dem Jessener Heimatgeschichtsforscher Reiner Helling grübelt die MZ-Reporterin zunächst über die Darstellungen im Portalwappen aus dem Jahr 1706. Dass es sich dabei um ein sogenanntes Allianzwappen handelt, das Auskunft über die Herkunft zweier durch die Ehe vereinigten Adelsgeschlechter gibt, hat der Chronist sofort gesehen.
Im linken Teil glaubt er die sächsische Raute und oben, in der Helmzier, das für das Amt Schweinitz stehende Schwein zu erkennen. „Aber auf die seltsamen Hörner kann ich mir keinen Reim machen“, sagt Helling mit Blick auf den rechten Teil des Wappens. Der Stierkopf im Zentrum lässt eine mecklenburgische Herkunft vermuten.
Gründlich daneben
Damit ist Hellings Neugier geweckt, es lässt ihm keine Ruhe, das ganze Wochenende stöbert er in Veröffentlichungen zur Schlossgeschichte und stößt in der Festschrift zum Jessener Schul- und Heimatfest 1999 auf einen Beitrag von Reinhard Hennings. Der offenbart, dass wir mit unseren Mutmaßungen gründlich daneben lagen.
„Das angebliche Schwein im linken Bereich ist ein Fuchs!“, teilt Helling die überraschende Erkenntnis mit. Und bei der vermeintlichen sächsischen Raute handelt es sich tatsächlich um drei Pilgermuscheln. Die sind das Wappensymbol derer von Vittinghoff, einem aus Westfalen stammenden Adelsgeschlecht. Zu dem gehörte August Heinrich von Vittinghoff, der die Jessener Schlosserbin Anna-Dorothea von Kanne geheiratet hatte und so Schlossbesitzer wurde. Der Stierkopf und die Büffelhörner waren die Wappenzeichen ihrer Familie.
Aus dieser Ehe ging Friedrich Wilhelm von Vittinghoff hervor, der 1734 vom sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. mit Schloss und Gut zu Jessen belehnt wurde. Pilgermuscheln und Fuchs finden sich auch im linken Teil des neuen, dem zweiten eingangs erwähnten Allianzwappen wieder, das Friedrich Wilhelm von Vittinghoff 1752 nach der Hochzeit mit Christiane Juliane von Röbel anbringen ließ.
Reich begütert
Von Röbels waren, so steht es auch in Jessens Festschrift, ein alteingesessenes und reich begütertes Geschlecht der Mark Brandenburg. Christian Juliane von Röbel war eine Tochter des königlich polnischen und kurfürstlich sächsischen Obristenleutnants Christian Friedrich von Röbel, dem auch Schloss Hemsendorf gehörte. Ihr Wappenzeichen ist ein Baumstamm zwischen (Adler?-)Schwingen.
Begründet wurde die Wappentradition im 12. Jahrhundert, als die adligen Ritter im Vollharnisch in die Schlachten zogen. Um Freund und Feind auseinanderhalten zu können, wurden Schilde und Helme mit farbigen Symbolen gekennzeichnet - dieser Zeit entstammen die Grundregeln der Heraldik. Dazu gehört, dass ein Familienwappen aus Schild, Helm, Decken- und Helmzier bestehen muss.
Das zunächst adlige Privileg des Wappenführens wurde im 13. Jahrhundert vom Bürgertum übernommen. Die Wappen wurden von höherrangigen Personen, die ein Siegel führen durften, gestiftet und mussten vom Landesherren bestätigt werden. So entstanden die Wappenrollen. Die allgemeine Deutsche Wappenrolle wird vom Wappen-Herold geführt. Um dort ein neues Familienwappen registrieren zu lassen, muss neben der heraldischen Richtigkeit die Einmaligkeit nachgewiesen werden.
Im deutschsprachigen Raum sind in den 800 Jahren 1,7 Millionen Familienwappen bekannt. Aber wer zu seinem Familiennamen ein vorhandenes Wappen findet, darf sich nicht ohne Weiteres damit schmücken: Es muss nachgewiesen sein, dass er dem Familiengeschlecht entstammt.
Weitere Geschichten gesucht
In der Adventsserie dreht sich alles um das Thema Familie. Nachdem wir schon eine Großfamilie und eine Zirkusfamilie zu Gast waren, sind wir diesmal einem Familienwappen auf der Spur. Bis zum 24. Dezember werden wir uns unter anderem noch dem Thema Familienfrieden widmen und eine Familie vorstellen, in der es manchmal brennt.
Als Redaktion sind wir weiter auf der Suche nach interessanten Geschichten. Zum Beispiel: Wer besitzt eine originelle „Familienkutsche“? Diese muss nicht motorisiert sein. Welche Familie kocht in der Adventszeit oder zum Fest nach einem traditionellen Rezept? Oder, wer hat die Herkunft seines Familiennamens erforscht oder erforschen lassen? (mz)