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Übung Höhenrettung Übung Höhenrettung: Rotoren stehen plötzlich still

Von Hans-Dieter Kunze 14.08.2013, 20:51
Ingo Künne, Leiter der Höhenrettung der Feuerwehr Coswig, seilt den „verletzten Monteur“, seinen Feuerwehrkameraden Steffen Schubert, an der Außenwand des Windradturmes aus 100 Metern Höhe ab.
Ingo Künne, Leiter der Höhenrettung der Feuerwehr Coswig, seilt den „verletzten Monteur“, seinen Feuerwehrkameraden Steffen Schubert, an der Außenwand des Windradturmes aus 100 Metern Höhe ab. H.-D. Kunze Lizenz

Plossig/MZ - Die „Windernte“ war recht gut an diesem schönen Sommertag im Windpark bei Prettin und Plossig. Und doch standen plötzlich drei Windkraftanlagen still. Die Flügel in Windrichtung angeklappt und gebremst, so dem Höhenwind Paroli bietend. Was war geschehen? Auf einem der Windräder hatte ein Monteur plötzlich einen Schwächeanfall erlitten. Er war nicht mehr in der Lage, sich mit eigener Kraft aus rund 100 Metern aus dem Rotorgehäuse über den spartanischen Liftkorb im Mastinneren, geschweige denn die hunderte von metallenen Steigstufen, nur mit einem Seil gesichert, nach unten zu begeben.

Für eine Trage zu eng

Eile war geboten, um den Mann zu retten. Und es blieb nur eine Möglichkeit: Retter stiegen auf, befestigten fachgerecht Seile, öffneten die Luke und ein Retter brachte den Monteur im Huckepack nach unten. Denn für eine Trage war es in dem Rotorgehäuse bei einer Windkraftanlage dieser Bauart zu eng. Beide, Retter und Geretteter, nahmen den Balanceakt gelassen hin. Sie lachten sogar, als sie wieder auf den „Boden der Tatsachen“ zurück gekehrt waren.

Der Aktive war Ingo Künne, Leiter der Höhenrettungstruppe der Freiwilligen Feuerwehr Coswig. Der „schwächelnde Monteur“ Steffen Schubert, war nicht wirklich einer, sondern ebenfalls ein Kamerad der Coswiger Spezialtruppe, die fünf Mitglieder zählt. Gerufen werden sie im Ernstfall. Wenn es gilt, verletzte oder hilflose Personen aus großen Höhen zu bergen. Das Team ist mit seiner Spezialisierungsrichtung und -ausrüstung sowie entsprechender Fachausbildung bisher einmalig in Sachsen-Anhalt und somit landesweit einsetzbar. „Von Windkrafttürmen mussten wir noch keinen bergen. Deshalb ist diese Übung hier eine fantastische Möglichkeit, uns zumindest auf solch einen Ernstfall vorzubereiten“, meinte Ingo Künne beeindruckt.

Hatte die Truppe schon mal einen heißen Einsatz? Künne grinste verschmitzt: „Ja, in Wittenberg. Da hatte wohl ein Mann im wahrsten Sinne des Wortes einen Höhenanflug und kletterte auf einen 20 Meter hohen Kran. Bloß runter traute er sich nicht wieder und schrie um Hilfe. „Unsere Truppe wurde alarmiert. Als zwei Kameraden oben waren, konnten wir an seinem Atem den Grund dafür riechen. Wir brachten ihn sicher nach unten.“

Die Höhenrettungsübung im Windpark bei Prettin und Plossig war aber nicht nur auf die Spezialtruppe aus Coswig zugeschnitten. „Wir wollten an diesem Standort Kameraden verschiedener Rettungstrupps zusammenführen. Zum praktischen Einsatz einerseits, zum Erfahrungsaustausch andererseits. Dafür haben wir drei Mühlen angehalten. Außerdem soll es ein Dankeschön für die ehrenamtliche Arbeit der Feuerwehrleute sowie der Kommunen sein.“ So begründete Markus Claudius Romberg die Übung. Er ist Geschäftsführer und Asset Manager Wind bei der Repower Deutschland GmbH. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in der Schweiz, in Dortmund ein Geschäftszentrum. Romberg reiste von dort an. Im Windpark Prettin-Plossig betreibt Repower seit 2006 fünf von 15 installierten Windkraftanlagen. Von diesen und an anderen Standorten wird mit luftiger Kraft elektrischer Strom „geerntet“, ins Netz eingespeist.

Vor Ort, in einem Weizenfeld kurz vor Labrun, am Fuße einer Enercon-Anlage mit 98 Metern Nabenhöhe, waren auch einheimische Feuerwehrleute anwesend, ebenso Mitarbeiter der WSB Service GmbH Dresden. Sie betreibt selbst 260 Anlagen deutschlandweit sowie in Polen und Tschechien und sichert Reparatur- und Wartungsarbeiten ab. Im Windpark Prettin-Plossig gehören WSB fünf Anlagen, dem Turbinenproduzenten Enercon weitere fünf. Ein WSB-Mitarbeiter, selbstverständlich mit vor Ort, ist Mathias Reisnauer aus Prettin. Er ist am Service-Stützpunkt Elster tätig und kennt sich auf und an Windrädern in verschiedenen Parks der Region aus.

Interessant für Brandenburger

Wahre Profis, aber dennoch ehrenamtlich tätig und vom Aufgabengebiet ähnlich wie die Coswiger Truppe beauftragt, sind die Höhenretter Brandenburg. Drei von ihnen, Ronny Hornig, Christian Zimmermann und Andreas Teichert, kamen aus Berlin in die Elbaue. „Die Höhenrettung in Brandenburg ist ebenfalls noch in der Aufbauphase. Wir werden künftig die Zusammenarbeit mit den Coswiger Kameraden ausbauen. Das ergibt Synergieeffekte“, ist sich Zimmermann sicher. Bei der Höhenrettung bringt er ehrenamtlich seine Erfahrungen ein. Er ist gelernter und versierter Industriekletterer. Ronny Hornig ist Inhaber einer eigenen Firma. Als Guide führt er Klettertouren an und organisiert Kicks der ganz besonderen Art für Abenteuerlustige, die es kribbeln spüren wollen, beispielsweise Hauswandklettern und Bungee-Springen. Außerdem liefert er Seiltechnik für Effekte bei Film und Fernsehen und agiert als Stuntplayer.

Kameraden der Wehren Prettin und Plossig waren ebenfalls vor Ort im Camp im Weizenfeld am Fuße eines der Windriesen. Danilo Mazzer, Paul Daniel, Tino Roman und Stefan Grolns aus Prettin zeigten sich beeindruckt von der Übung. Sie durften selbstständig eine der benachbarten Windkraftanlagen besteigen. Stefan Grolns war begeistert, weil das erste Mal auf solch einem Turm in dieser Höhe: „Der Blick war fantastisch. Wittenberg war zu sehen, ebenso der Windpark in Elster und vieles mehr.“ Danilo Mazzer fiel ganz oben etwas anderes auf: „Der Mast schwankt ja ein wenig.“ Romberg konnte ihn beruhigen: „Das ist normal, aber völlig ungefährlich. Umkippen kann der Turm deswegen nicht.“

Prettins Ortsbürgermeisterin Helga Welz und ihr Plossiger Kollege Joachim Hienzsch waren ebenfalls dabei. Die Prettinerin beobachtete das Geschehen interessiert, aber lieber vom sicheren Boden aus. „Da kriegt mich sowieso keiner raufgehievt, der Liftkorb ist viel zu klein“, führte sie als Begründung an. Die Anwesenden lachten. Da, wo zwei Monteure Platz haben, hätte den auch eine Bürgermeisterin. Trotzdem freute sie sich über das Engagement der Betreiber und die gute Zusammenarbeit. Nicht nur, weil sie obendrein von den Veranstaltern ein paar Souvenirs „abstauben“ konnte. Natürlich nicht für sich. „Das gebe ich weiter an Kinder und Besucher von Prettin“, versicherte sie.

Auch Markus Claudius Romberg war zufrieden. „Es war die dritte Veranstaltung dieser Art und sie kam wohl gut an. Deshalb wird Repower das beibehalten. Wir sehen uns also nächstes Jahr wieder“, versicherte er.

Ingo Künne, Leiter der Höhenrettung der Feuerwehr Coswig, seilt den „verletzten Monteur“, seinen Feuerwehrkameraden Steffen Schubert, an der Außenwand des Windradturmes aus 100 Metern Höhe ab.
Ingo Künne, Leiter der Höhenrettung der Feuerwehr Coswig, seilt den „verletzten Monteur“, seinen Feuerwehrkameraden Steffen Schubert, an der Außenwand des Windradturmes aus 100 Metern Höhe ab.
H.D. Kunze Lizenz
Markus Claudius Romberg, von Repower Deutschland, Mathias Reisnauer aus Prettin, Servicemitarbeiter bei WEA Sachsen, und Christian Zimmermann von der Höhenrettung Brandenburg (v.l.) im Gespräch.
Markus Claudius Romberg, von Repower Deutschland, Mathias Reisnauer aus Prettin, Servicemitarbeiter bei WEA Sachsen, und Christian Zimmermann von der Höhenrettung Brandenburg (v.l.) im Gespräch.
H.-D. Kunze Lizenz