Tierschutz in Gerbis Tierschutz in Gerbis: Ist Schafherde wegen Wölfen ausgebüxt?

Gerbis - Wildtiere gehören in ländlichen Regionen wie der des Altkreises Jessen zum alltäglichen Bild. Dass jedoch eine ganze Schafherde allein durch die Flur zieht, ist neu - und stellt die Behörden vor eine echte Herausforderung.
Wann genau die Herde Kamerunschafe ihr Domizil bei Gerbis verließ und sich in alle Himmelsrichtungen verstreute, vermag niemand zu sagen.
Fest steht nur, dass 34 Tiere einer privat gehaltenen Herde die Flucht ergriffen. Den Grund dafür könnten Bilder einer Fotofalle liefern, die Jagdpächter Marko Kurch unlängst beim Speicherwechsel entdeckte. Darauf zu sehen sind zwei Wölfe, die sich gleich mehrfach am Tag zu verschiedenen Uhrzeiten in seinem zwischen Gerbis und Gerbisbach gelegenen Revier ablichten ließen. „Dass sie hier leben, ist schon seit geraumer Zeit bekannt und konnte man auch am veränderten Verhalten des Wildes erkennen“, betont Kurch. Seinen Aussagen zufolge sind Wolfssichtungen in der Region längst keine Seltenheit mehr und nehmen stetig zu.
Tiere schon gerissen
Dass sich der graue Jäger hier wohlfühlt, liegt nach Einschätzung von Experten unter anderem am hohen Futteraufkommen. Freilaufende Schafe sorgen zusätzlich für einen reich gedeckten Tisch. Noch Anfang Januar soll die Herde von Gerbis mehr als 50 Tiere umfasst haben. Seither wurden immer wieder gerissene Schafe aufgefunden. Vergrößert hat das Problem zweifelsfrei auch der Halter der Tiere, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, sich ordnungsgemäß um den Bestand zu kümmern. Hätte er früher reagiert, wären Schaden und Aufregung heute deutlich kleiner. So aber sahen sich das Ordnungsamt der Stadt Jessen und der Landkreis genötigt, einzugreifen. „Die Schafe sind allesamt in einem guten Ernährungszustand“, verdeutlicht Thomas Moeller, Leiter des Fachdienstes Veterinärwesen und Verbraucherschutz des Landkreises Wittenberg. Doch im Rahmen der Gefahrenabwehr galt es jetzt, schnell und rigoros einzugreifen. Dass die Wölfe Schuld an der Teilung der Herde sind, klingt für Moeller plausibel. Wenngleich sich diese Behauptung nicht eindeutig belegen lässt.
Schäfer um Hilfe gebeten
Die Schafe einzufangen, gestaltet sich jedoch weitaus schwieriger als gedacht. Um ihrer Herr zu werden, wurde selbst die Feuerwehr Jessen aktiv. Zehn ihrer Kameraden beteiligten sich an einer Fangaktion. Probleme hatte selbst Berufsschäfer Gerhard Bachmann aus Klöden.
Ihn hatte der Kreistierarzt um Mithilfe und Unterstützung gebeten. Vornehmlich galt es, einen Teil der Herde, der vergangene Woche bei Lebien stand, einzufangen und auf Hänger zu verladen. „Ein auswegloses Unterfangen“, sagt Bachmann rückblickend.
Ein Rudel, also eine Wolfsfamilie mit vier Welpen, lebt in der Annaburger Heide. Das geht aus dem jüngsten Monitoringbericht hervor, der unter Federführung des Landesamtes für Umweltschutz herausgegeben wird. Das heißt aber nicht, dass nicht einzelne Wölfe auf Wanderschaft durch die hiesige Region streifen könnten. Jäger beobachten diese Entwicklung skeptisch.
Denn die Tiere seinen derart verängstigt und scheu, dass ein normales Hantieren unmöglich sei. Also trieb er die dezimierte Herde auf Schleichwegen bis nach Rettig, wo er die 15 Tiere zwischenzeitlich unterstellte und betreut. Tags darauf wurde Gerhard Bachmann erneut um seine Dienste gebeten. Dieses Mal sollten sieben Schafe, allesamt Böcke, sesshaft gemacht werden. Der Erfolg war jedoch nur von kurzer Dauer. „Schon am Folgetag waren sie wieder auf Wanderschaft“, berichtet Bachmann. Ein späteres Einfangen gelang, und wurde neuerlich durch Flucht zunichte gemacht.
Wie viele Kamerunschafe derzeit durch den Altkreis streifen, ist ungewiss. Acht von ihnen sollen bei Klossa stehen, weitere drei wurden am Montag bei Kleindröben, zwei zwischen Gehmen und Düßnitz und eines an der Elbe bei Axien gesichtet. So lustig die Sache manchem auch erscheinen mag, der Fall hat auch eine ernste Seite. „Im Falle eines Verkehrsunfalls mit ihnen greift die normale Teilkasko nicht. Dafür muss eine erweiterte Versicherung abgeschlossen werden“, verdeutlicht Allianz-Generalvertreter Bastian Schüssler. Zudem verweist er darauf, dass der Halter der Schafe nicht in jedem Fall zur Rechenschaft gezogen werden kann. „Sollte er die Tiere ordnungsgemäß gehalten haben und diese sind in Panik vor dem Wolf ausgebrochen, haftet er nicht für Folgeschäden“, zitiert Schüssler ein Urteil des Bundesgerichtshofes von 2009.
Letzte Möglichkeit
Sollte das Einfangen der restlichen Tiere in den kommenden Tagen nicht gelingen, bliebe letztlich nur der gezielte Abschuss. Drei Schafe wurden auf Geheiß des Landkreises durch Jäger bereits erlegt und zum Abdecker gebracht. Gut möglich aber auch, dass dem Weidmann sein derzeit wohl größter Konkurrent, der Wolf, zuvorkommt. (mz)

