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Schweden trifft auf Annaburg Schweden trifft auf Annaburg: "2017 kommen wir wieder"

Von Gabi Zahn 27.04.2015, 17:53
Seinen 49. Hochzeitstag feiert das schwedische Ehepaar Anita und Robin Welch in Annaburg mit Pfarrer Michael Stifel und Wirt Gerald Lexius.
Seinen 49. Hochzeitstag feiert das schwedische Ehepaar Anita und Robin Welch in Annaburg mit Pfarrer Michael Stifel und Wirt Gerald Lexius. Zahn Lizenz

Annaburg - Die Anfrage kommt per Internet von einer Reiseagentur aus Schweden. Gerald Lexius antwortet: Natürlich sei es möglich, eine Reisegruppe aus dem nordeuropäischen Land im „Lokal am Wald“ zu bewirten. Eine Speisekarte braucht der Wirt gar nicht zu offerieren. Die Gäste wissen, was sie in Annaburg speisen möchten: frisch gebackenes Erdschwein und alles, was dazu schmeckt. Die Spezialität des Hauses hat sich bis Schweden herumgesprochen.

5.000 Kilometer lange Tour

Dass die Mund-zu-Mund-Propaganda sogar der Internetrecherche voraus geeilt ist, erfährt Gerald Lexius, als er die Gäste begrüßt. Es sind 20 Damen und Herren – Mitglieder einer Kirchengemeinde bei Stockholm, die mit Reiseleiterin Carin Hult und Pfarrerin Lena Gustavsson die Spuren von Martin Luther erkunden. „Etwa 5 000 Kilometer fahren wir insgesamt“, rechnet Kare Jansson, vor. Er steuert den Reisebus. Erster Übernachtungsort soll Wittenberg sein, im Anschluss ans Erdschwein-Essen in Annaburg. Ein Mitreisender habe davon geschwärmt, der vor Jahren in Bad Schmiedebergs „Schöner Aussicht“ zu Gast war. Dort hatte Lexius diese Zubereitungsform erstmals angeboten.

„Lokal am Wald“

Nun betreibt der 49-Jährige das „Lokal am Wald“ in Annaburg, wo er seinen selbst konzipierten und patentrechtlich geschützten Erdräucherofen gebaut und mit einem slawischen Feldsteinofen ergänzt hat. Dieser ist vor allem für Lachse und andere Fische geeignet. Offenbar wussten bereits Vorfahren vor etwa 1 500 Jahren um die schonende Zubereitungsform, bei der Fleisch oder Fisch langsam gegart und gleichzeitig geräuchert wird. Das erklärt Gerald Lexius, als er den Erdräucherofen öffnet. Wenig später ist alles auf dem Büfett angerichtet. Der festliche Schmaus beginnt mit einem freudigen „Smaklid máltid“ – „Guten Appetit“.

Der Besuch der schwedischen Reisegruppe und die Rückmeldungen sind für den Annaburger Wirt Gerald Lexius ein Signal mehr, im Zuge der Lutherdekade weitere Aktivitäten zu entwickeln. Sein Engagement, die Besucher auf das „Kernumland der Reformation“ aufmerksam zu machen, wird auch von Annaburgs Bürgermeister Klaus-Rüdiger Neubauer (parteilos) begrüßt: „Wittenberg ist die Hauptstadt der Reformation. Doch Luther hat in fast allen Kirchen der Umgebung gepredigt. Sein Anliegen war es ja, seine Gedanken möglichst vielen Menschen zu vermitteln. Also wäre es nur gut, wenn sich auch die Gastronomen und andere Geschäftsleute aus Annaburg, Jessen und Zahna-Elster in das große Ereignis einbringen und davon letztlich profitieren könnten“, sagt er.

Innerhalb der Jessener Gruppe des Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) gibt es nach Angaben von Gerald Lexius Bestrebungen, in die Vorbereitungen des Reformationsjubiläums eingebunden zu werden. „Bis jetzt ist dies nur spärlich geschehen“, bedauert er. „Nach bisherigen Schätzungen sollen 2017 über einen Zeitraum von etwa 100 Tagen hinweg täglich 6.000 bis 10.000 Besucher in Richtung Wittenberg streben.

Das stellt die Gastronomie vor eine organisatorische und logistische Herausforderung. Wir würden gern wissen, welche Ausschreibungen es gibt, ob etwa Gastronomiezelte im grünen Gürtel von Wittenberg platziert werden, welches Equipment dafür benötigt wird. Wir müssen außerdem anfangen, ab 2016 Werbung zu machen und unsere Angebote darzulegen.“ Er kann sich vorstellen, das Erlebnis-Essen mit Spezialitäten aus der Erdräucherei noch publikumswirksamer anzubieten: „Dabei könnten zum Beispiel hiesige Theatergruppen die Stifel-Geschichte vor den Gästen spielen.“

Recht hoffnungsvoll wird Gerald Lexius am 4. Mai im Heidehotel Lubast einen Termin wahrnehmen: „Wir haben eine Einladung des Vorstands zum Dehoga-Quartalstreffen der Kreisverbände Wittenberg, Jessen, Wörlitz erhalten. Aus der Tagesordnung geht hervor, dass in den nächsten Jahren zwar kein Zusammengehen der Kreisverbände geplant ist, aber eine gegenseitige Information und ,bei Bedarf Zusammenarbeit’ (Zitat aus der Einladung) in Hinblick auf das Reformationsjubiläum sinnvoll wäre.“

Wie gut die Annaburger Spezialität gemundet hat, bekunden die Gäste in Liedern, angestimmt von der Pfarrerin. Davon beeindruckt zeigt sich ihr deutscher Amtsbruder Pfarrer Michael Stifel – in Gestalt von Peter Burkhardt. Der wohl berühmteste Seelsorger der Annaburger Geschichtsschreibung – er lebte von 1487 bis 1567 – scheint ein Gespür dafür zu haben, immer am richtigen Ort aufzutauchen, um Unwissende über die Geschehnisse des Jahres 1533 aufzuklären: Für den 19. Oktober, 8 Uhr, habe er – entgegen der Warnungen seines Freundes Martin Luther – nach Berechnungen den Weltuntergang verkündet.

Stadt profitiert von Missgeschick

Dass ihm als Mathematiker, der später die Basis des Logarithmus entwickelte, dabei ein Fehler unterlaufen sei, brachte ihm zwar den Zorn der Bürger und eine Schutzhaft unter Obhut des Kurfürsten Friedrich des Weisen ein. Doch könne die Stadt noch heute von seinem Missgeschick profitieren. Dadurch würden Leute auf den Spuren Luthers nach Annaburg gelenkt. „Sehr interessant, das wussten wir noch nicht“, bekennt Carin Hult. Sodann wird Stifel eine besondere Ehre zuteil: Anita und Robin Welch feiern ihren 49. Hochzeitstag. Klar, dass er dem gebürtigen Engländer und seiner Frau alles Gute wünscht.

„Lieblings-Ausland“

Für Brigitte Skottke und Inger Funke ist die Reise eine Wiederbegegnung mit ihrem Geburtsland. Beide Frauen nutzen gern Gelegenheiten zu Ausflügen nach Deutschland, fühlen sich aber in Schweden sehr wohl. Die Gäste wollen mehr über Annaburg erfahren: „Wir haben während der Fahrt gesehen, dass es wohl wenig Wirtschaftskraft gibt“, schildert Brigitte Skottke ihre Beobachtungen. Umso mehr sei verständlich, dass die Annaburger bemüht sind, Touristen in die Region zu holen. Viele der schwedischen Gäste bezeichnen Deutschland als ihr Lieblings-Ausland: die Landschaft sei abwechslungsreich, die Menschen freundlich, alles sei gut organisiert. Man bekomme hier etwas für sein Geld. Am späten Abend verabschieden sich die Gäste.

„Wir berichten zu Hause, wie toll es hier war, und 2017 kommen wir wieder“, ruft Carin Hult. Die weiteren Stationen der schwedischen Reisegruppe sind Wittenberg, Lützen, Erfurt, Eisenach, Eisleben, Quedlinburg, Wernigerode und Lübeck. Der Ausflug nach Lützen bei Leipzig gilt dem Andenken an den schwedischen König Gustav Adolf, der 1632 als protestantischer Heerführer in einer der größten Schlachten des 30-jährigen Krieges gegen die katholisch-kaiserlichen Soldaten Wallensteins gefallen war. (mz)