Schüleraustausch in Jessen Schüleraustausch in Jessen: Grenzenlose Freundschaft mit Niederländern

Jessen - Ruud Steenbergen steht beim Betreten des Klassenraums sofort im Mittelpunkt. „Wir singen die niederländische und die deutsche Nationalhymne“, ruft Musiklehrer Udo Sommer, hält dem Lehrer für Mathematik und Geschichte aus Amstelveen (bei Amsterdam) das Textbuch hin und haut Sekunden später in die Tasten.
Der passionierte Marathonläufer aus den Niederlanden schlägt sich stimmlich tapfer. Die Neuntklässler des Hermann-Wesselink-College und aus dem Gymnasium Jessen klatschen Beifall und lassen sich danach von Sommer durch die Geschichte des Landes führen. Freiheitskämpfer Lamoral von Egmond spielt dabei eine entscheidende Rolle. Ruud Steenbergen hört sich den Vortrag interessiert an und erzählt, dass ein Lehrer in Deutschland einen anderen Stellenwert genießt.
„Er ist Respektsperson. Die Kinder sind leise und hören interessiert zu.“ In den Niederlanden wird der Lehrer nicht ganz so ernst genommen, die Unterrichtsführung ist lockerer. „Wir reden weniger“, so Steenbergen. Nach erfolgter Aufgabenstellung steht Gruppenarbeit auf dem Plan. Beeindruckt ist der Lehrer von den Unterrichtszeiten. Beginn 7.15 Uhr ist aus seiner Sicht „sehr früh“.
Wer mit dem Schulbus fährt, muss bereits vor 6 Uhr aus dem Bett. „Bei uns undenkbar“, sagt er und erzählt, dass die erste Stunde in den Niederlanden um 8.30 Uhr beginnt. Dann geht es recht straff bis 16 Uhr durch. Steenbergen ist im Rahmen des Schüleraustausches das erste Mal in Jessen. Die Woche will er nutzen, um Land und Leute besser kennenzulernen. Am Freitag geht es zurück nach Amstelveen.
Die 18 Schüler aus dem Nachbarland sind in mehrere Gruppen eingeteilt. Hagar Friedman erzählt, dass Deutschland-Besuche für sie ein Stück Vergangenheitsbewältigung sind. „Meine Familie hat der Reise zugestimmt“, sagt das 15-jährige Mädchen, das in Israel geboren ist. Während des Holocausts sind 80 Menschen aus ihrer Familie von den Nazis umgebracht worden.
Sie empfindet keinen Hass, doch ein mulmiges Gefühl im Magen sei vorhanden. Hagar Friedman erzählt, dass sie bei einer netten Gastfamilie untergebracht und erstaunt ist, wie groß die Häuser in Jessen sind. „Am Mittwoch fahren wir nach Berlin. Da freue ich mich ganz besonders drauf.“
Als Lehrerin Manuela Krüger, die zusammen mit Michael Hollwitz den Schüleraustausch koordiniert, die Geschichte von Friedman hört, fällt ihr das Schlucken schwer. „Unser Motto lautet: Grenzen überqueren führt zu Freundschaft und Toleranz“, so Manuela Krüger, die am Gymnasium Englisch und Russisch unterrichtet. Die Pädagogin betont, dass die Freundschaft zwischen den Schulen seit mehreren Jahren besteht und sie zusammen mit Hollwitz plus 18 Neuntklässlern dem Wesselink-College bereits einen Besuch abgestattet hat.
„Es ist wichtig, dass Jugendliche aus verschiedenen Ländern zusammentreffen, weltoffen werden und Dinge wie kulturelle Vielfalt schätzen lernen“, ergänzt Direktorin Monika Kaufhold. Gileesa McCormack sitzt im Chemieunterricht und wartet, bis sie an den Experimentiertisch darf. Sie erzählt von der zehnstündigen Anreise mit dem Bus, dem beschaulichen Leben in Jessen und der herzlichen Aufnahme in der Gastfamilie.
Wie Hagar Friedman ist die 14-Jährige überrascht, welch große Häuser in der Elsterstadt stehen. „In Amstelveen sind die viel kleiner“, sagt sie. Gileesa McCormack freut sich auf den Berlin-Besuch am Mittwoch, den Bowling-Vergleich einen Tag später und ist überzeugt, dass es nicht ihr letzter Besuch am Gymnasium gewesen ist.
Bürgermeister Michael Jahn (SPD) hat die 36 Austauschschüler beider Bildungseinrichtungen plus ihre Lehrer am Montag im Ratssaal des Jessener Schlosses empfangen und in seiner kurzen Begrüßung gleich ein Versprechen abgegeben. Nach seiner Amtszeit stattet er Amstelveen einen längeren Besuch ab. Diese Ankündigung kommt gut an. Steenbergen und Schülerin Britt Jonkhout überreichen Jahn als Dankeschön einen Edamer Käse. (mz)
