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Schrottimmobilien in Schweinitz Schrottimmobilien in Schweinitz: Ungeklärte Zukunft für Ruinen

Von Ute Otto 22.09.2018, 07:11
Dieses Haus am Übergang von der Schliebener Straße zum Dörfchen stand schon vor der Wende leer. Der Eigentümer ist unbekannt.
Dieses Haus am Übergang von der Schliebener Straße zum Dörfchen stand schon vor der Wende leer. Der Eigentümer ist unbekannt. Ute Otto

Schweinitz - Rollläden, die auf „halb acht“ hängen, staubblinde Fenster, graue Gardinen, bröckelnder Putz, Dachgerippe, aus denen Bäume wachsen, Türen, die von Wildwuchs zugewuchert sind. In der Schweinitzer Ortsmitte reihen sich die herrenlosen Häuser aneinander. „Es ist nicht bloß ein trauriger Anblick, es ist ein schlimmer Anblick“, sagt der Vorsitzende des Ortsteilbeirates, Wolf-Rüdiger Engel.

22 Objekte allein an der Hauptachse Dammstraße, Markt, Schliebener Straße listet das Schwarzbuch der Immobilien auf, das der Schweinitzer Ortsteilbeirat erstellt und allen Fraktionen des Jessener Stadtrates zukommen lassen hat. Ein Eckhaus in der Dammstraße ist zwischenzeitlich abgerissen.

Es seien längst nicht alle von Verfall betroffenen Häuser in Schweinitz, sagt Engel. „In den Nebenstraßen gibt es auch noch allerhand.“ Eins davon hat Eingang ins Schwarzbuch gefunden, das ehemalige Feierabendheim im Dörfchen. Eigentümerin ist die Stadt.

Grundgesetz, Artikel 14

Das Schwarzbuch ist der Hilferuf an die Stadträte, der jüngst Thema war im Bauausschuss (die MZ berichtete). „Es soll ein Anstoß sein“, sagt Engel. Es beginnt mit dem Verweis auf Artikel 14 des Grundgesetzes mit dem Kernsatz „Eigentum verpflichtet“. „Dieser Artikel scheint dem größten Teil der Eigentümer von Häusern im Ortsteil Schweinitz unbekannt zu sein. Zu den Eigentümern gehört auch die Stadt Jessen“, heißt es in dem Vorwort.

„Wir bitten die Stadträte und die Verwaltung, helft dem Ortsteil Schweinitz, ein einigermaßen vernünftiges Aussehen in der Innenstadt wieder zu erlangen.“

In vielen Fällen sind die Besitzer verstorben oder wohnen in Pflegeheimen. Die Erben sind oftmals nicht bekannt oder leben unerreichbar im Ausland. Einige Häuser seien schon mehrfach verkauft worden, ohne dass je ein Besitzer daran was gemacht hat. „Solchen Käufern ging es nur um den Grund und Boden, vor allem, wenn noch Wald oder Acker mit dem Grundbesitz verbunden waren“, so Engel.

Er gibt nicht der Stadt die Schuld an dem Zustand. „Ich mache es aber der Stadt zum Vorwurf, wenn sie Kaufverträgen zustimmt, ohne dass Nutzungskonzepte vorliegen“, sagt er.

„Die Politik ist gefordert“, sagt der 75-Jährige. „Es müsste ein Gesetz geben, dass eine Immobilie nach einer bestimmte Zeit an die Stadt fällt, wenn sich niemand darum kümmert.“ Das Grundgesetz lasse doch eine Enteignung zu, wenn es dem Wohl der Allgemeinheit dient. Das sieht der Schweinitzer Ortschaftsrat mit dem jetzigen Zustand gefährdet. Es würden noch mehr Leute den Ort verlassen, wenn der Verfall weiter geht. „Unsere Innenstadt verwaist völlig.“

Dem Einwand, dass die Städte des Problems selbst nicht Herr werden, entgegnet Engel mit folgender Forderung an Bundes- und Landespolitik: Förderprogramme abzuschaffen, die dienten nur der Beschäftigung unzähliger Verwaltungsmitarbeiter. „Man sollte mit dem Blödsinn aufhören und stattdessen die Kommunen finanziell vernünftig so ausstatten, dass sie in den Orten etwas verändern können.“ In einigen Fenstern hängen Schilder von Immobilienfirmen. Wie lange sie die Objekte schon bewerben, wie viele Interessenten es gab, möchten die Makler aus Datenschutzgründen und Rücksicht auf Eigentümer nicht preisgeben. Schweinitz sei nicht interessant für Investoren. „Es gibt doch dort nichts mehr“, hieß es aus einem Büro, dessen Inhaber nicht genannt werden will. Wenn überhaupt, interessierten sich die Kunden für frei stehende Einfamilienhäuser.

Zu viele Vorschriften

Erschwerend kommt hinzu, dass der Schweinitzer Altstadtkern unter Denkmalschutz steht. Engel verweist auf die Brandruine am Markt. „Was ist daran Denkmalschutz?“ Da kann ein Haus noch so verfallen sein - Abriss ist ohne weiteres nicht möglich. Die Sanierung denkmalgeschützter Objekte aber ist mit so hohen Auflagen verbunden, dass potenzielle Käufer abwinken. Ein Schweinitzer erzählt, dass er den Garten seines Hauses mit einem Stabmattenzaun umgrenzen wollte. Die Denkmalschutzbehörde verlange einen Holzzaun. „Ich habe keine Zeit, alle drei Jahre zu streichen“, so der Mann, der ungenannt bleiben will.

„Die Leute, die so ein Gebäude erwerben, bekommen so hohe Auflagen, dass sie daran verzweifeln“, sagt auch der amtierende Bauamtsleiter der Stadt Jessen, Steffen Höhne. Zwar gebe es

ein Fördergebiet „Altstadtkern Schweinitz“, aber die Fördermittel seien nur für öffentliche Gebäude. Eine Lockerung der Denkmalschutzauflagen würden nicht nur die Schweinitzer sehr begrüßen. Und noch ein Hindernis gibt es. Einige Grundstücke in der Dammstraße liegen im per Verordnung festgelegten Überschwemmungsgebiet. Damit sind dort jegliche Neu- und Umbauten verboten.

„Das ist keine Demokratie mehr, sondern Bürokratie, die hier herrscht“, schimpft Engel. „Da muss sich niemand wundern, dass die Leute politikverdrossen werden.“ Aus Resignation will er zum 30. September sein Ehrenamt als Ortsteilbeirats-Chef aufkündigen. (mz)

Wolf-Rüdiger Engel mit dem Schwarzbuch Schweinitzer Immobilien
Wolf-Rüdiger Engel mit dem Schwarzbuch Schweinitzer Immobilien
Otto
Schliebener Straße: Durch diese Tür ist lange keiner gegangen.
Schliebener Straße: Durch diese Tür ist lange keiner gegangen.
Otto
Brandruine am Markt. Was ist daran Denkmalschutz?
Brandruine am Markt. Was ist daran Denkmalschutz?
Otto