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Politische Bildung  Politische Bildung : erleben wir einen Rechtsruck? In Prettin wird diskutiert.

Von Aline Gorldt 14.10.2020, 17:30
Im Rahmen der Wanderausstellung „Mensch, Du hast Recht(e)“ organisiert die Gedenkstätte Veranstaltungen wie die Podiumsdiskussion.
Im Rahmen der Wanderausstellung „Mensch, Du hast Recht(e)“ organisiert die Gedenkstätte Veranstaltungen wie die Podiumsdiskussion. Aline Gorldt

Prettin - Melanie Engler, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Lichtenburg in Prettin, findet, dass es einen „extremen Rechtsruck“ in der Gesellschaft gibt. Grundsätzliche demokratische Elemente würden in Frage gestellt. „Dagegen müssen wir uns positionieren, weil es uns in unseren Grundfesten erschüttert.“

„Geschichtspolitik als Kulturkampf. Das Geschichtsbild der Neuen Rechten und zivilgesellschaftlicher Gegenprotest in der Region“ - unter diesem Titel hat in der KZ-Gedenkstätte Lichtenburg eine Podiumsdiskussion stattgefunden. Die Gesprächsgäste waren Henrike Heierberg vom Bündnis „Wittenberg Weltoffen“ und Jan Burghardt, systemischer Berater des Projektes „Gegenpart“, einem mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt.

Neue Rechte in der Region

Dass die Neuen Rechten auch hier in der Region aktiv sind, kann Burghardt nicht ausschließen, erklärt er. Konkrete Anhaltspunkte haben er und sein Team jedoch nicht. Sie beraten, recherchieren und informieren u.a. zu den Themen Rechtsextremismus und Antisemitismus. „Unser Ziel ist die Stärkung einer demokratisch- und menschenrechtsorientierten Zivilgesellschaft“, erklärt Burghardt.

Von Neonazis unterscheiden sich die Neuen Rechten seiner Auffassung nach vor allem in ihrem Auftreten, „und sie wissen die neuen Medien für sich zu nutzen“, sind also gerade in den sozialen Netzwerken sehr aktiv. Im Gegensatz zu Neonazis „beziehen sich die Neuen Rechten nicht explizit auf den Nationalsozialismus“, erklärt er.

Wie er den Gästen der Podiumsdiskussion eingangs erklärt, organisieren sie sich in Form von Bündnissen wie dem der „Identitären Bewegung“, Zeitungen oder in Parteien wie der AfD. Burghardt zählt somit auch einzelne Akteure der AfD zu den Neuen Rechten und zeigt einige Beispiele, wie deren Parteimitglieder in Form von „inszenierten Tabubrüchen“ strategisch ins Gespräch kommen. Zu weiteren Elementen Neurechter Geschichtspolitik zählen seinen Ausführungen zufolge auch die immerwährende Nutzung der Begriffe „Volk, Nation, Kultur“ und die „Semantik des Niedergangs und tiefsitzender Kulturpessimismus“.

Anlass für die Podiumsdiskussion war die Wanderausstellung „Mensch, Du hast Recht(e)“, die derzeit in der Gedenkstätte aufgebaut ist. In dieser dreht sich alles um die Themen Menschenrechte, Rassismus und Diskriminierung.

Bis zum 4. November können sich Besucher in der Ausstellung aktiv mit diesen Themen beschäftigen. Zum weiteren Rahmenprogramm gehört die Filmvorführung „Majubs Reise“ am 22. Oktober im Wittenberger Phönix Theater samt Publikumsgespräch.

››Interessenten für die Filmvorführung werden gebeten, sich bis zum 21. Oktober anzumelden, Tel. 035386/60 99 75, Mail: [email protected]

Auch die verzerrte Deutung des Zweiten Weltkrieges oder die Relativierung des Nationalsozialismus - etwa auch durch die Nichterwähnung und einer abstrakten Umschreibung der Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg, ein Beispiel ist Alexander Gaulands (AfD) „Vogelschiss-Äußerung“, gelten als typische Merkmale der Neuen Rechten, die auch bei Mitgliedern der AfD zu finden seien.

„Wir haben festgestellt, dass die Zahl unserer Beratungen seit 2015 angestiegen ist“, beantwortet Burghardt eine Frage aus dem Publikum. Während das Beratungsteam, welches unter anderem in Kindertagesstätten, Vereinen und Schulen aktiv ist, 2015 etwa 20 Gespräche führte, sind es derzeit durchschnittlich 60 pro Jahr. „Es ist anzunehmen, dass im Zuge von Pegida, der AfD und der Flüchtlingswelle der Beratungsbedarf gestiegen ist“, mutmaßt Burghardt.

Das Projekt berät auch das Bündnis „Wittenberg Weltoffen“. „Unser Anliegen ist es, uns für etwas einzusetzen“, erklärt Henriette Heierberg, die neben ihrer Tätigkeit beim Bündnis auch Kreisvorsitzende der Jusos ist. Vielfalt, Respekt und Demokratie seien Anliegen des Bündnisses, welches sich vor fünf Jahren gegründet hat.

Melanie Engler, Leiterin der KZ-Gedenkstätte, führte durch die Diskussion und stellte den Podiumsgästen und Interessierten Zuschauern nun die Frage, wie man zivilgesellschaftliches Engagement stärken könne. Das Publikum wirft die Frage auf, wer sich denn heutzutage überhaupt noch engagieren würde. Die jungen Menschen seien es kaum, findet ein Gast.

„Strukturen schaffen, um es Interessierten leichter zu ermöglichen, sich zu engagieren“ sieht Heierberg als wichtigen Punkt, um Engagement in der Zivilgesellschaft zu unterstützen.

Prettin im Stich gelassen?

Ein weiterer Gast kritisiert, dass die kleinen Orte, wie etwa Prettin, generell im Stich gelassen würden. Nachdem die AfD hier 30 Prozent der Stimmen erhalten habe, sei nichts passiert. Man sei nicht an die Wähler herangetreten, habe die Jugend nicht unterstützt, geschweige denn die Infrastruktur des Ortes. Alles in allem sei nichts gegen die Unzufriedenheit getan worden.

Diese Äußerung habe sie sehr getroffen, sagt sie der MZ im Anschluss der Diskussion. Sie biete dem Ort nun eine Vernetzung mit dem Bündnis an. „Engagement für eine plurale Gesellschaft auf dem Boden der Demokratie ist überall notwendig, nicht zuletzt im ländlichen Raum. Dafür müssen wir Strukturen schaffen“, so ihr Fazit.

(mz)