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Namenskunde Namenskunde: Kein Jessen in Jessen

Von Klaus Adam 20.04.2015, 18:31
Stadt Jessen
Stadt Jessen MZ Lizenz

Jessen - Die Gelehrten dürfen sich streiten: Auf der Internetseite von Jessen ist das Jahr 1217 für den ersten urkundlichen Nachweis angegeben. Die Datenbank Wikipedia hingegen erklärt: „Die Urkunde Bischof Siegfrieds II. von Brandenburg ist zwar am 28. Dezember 1217 ausgestellt, da damals aber ein neues Jahr am 25. Dezember begann, ist der Tag nach dem heutigen Kalender der 28. Dezember 1216.“

Es hängt davon ab, welche Rechnung man zugrunde legt: Bis ins 15. Jahrhundert hinein legte die Kirche den Neujahrstag auf den 25. Dezember. Das war ebenso in Spanien, England und der Schweiz verbreitet. Der heute noch angewendete gregorianische Kalender wurde von Papst Gregor XIII. erst im Jahr 1582 eingeführt.

Viele Telefonate nötig

Doch egal, ob Jessens Bürgermeister Michael Jahn (SPD) im kommenden oder im darauffolgenden Jahr zur großen 800-Jahr-Feier bitten würde - um alle Deutschen einzuladen, die den Namen Jessen tragen, müsste er 2 216 Telefongespräche führen. So viele Anschlüsse sind zumindest im Telefonbuch angeführt. Wobei vielleicht auch der eine Herr oder die andere Frau Jessen inkognito bleiben möchten und sich gar nicht eintragen lassen haben.

Die Internetdatenbank www.verwandt.de hat davon ausgehend hochgerechnet, dass damit 5 909 Personen in der Republik diesen Namen tragen dürften. Der zugrunde liegende Faktor von 2,7 ist laut dem bekannten Namensforscher Professor Jürgen Udolph ein Erfahrungswert.

Neben Jessen an der Schwarzen Elster gibt (und gab) es noch weitere Namensvetterorte:

Jessen (Niederau) ist ein Straßenangerdorf, Ortsteil von Niederau bei Meißen, und liegt in der Talmulde des Bierlichtbaches. Es wurde 1272 erstmals erwähnt als „Gezzen“. Laut Internet (www.niederau.info) hieß der Ort noch früher Cheyzza (sorbisch wohl „Quellenort“), seit 1378 laut Professor Wetzel Gessen, aber auch schon Jessen.

Über Jessen (Lommatzsch) ist nicht viel zu finden. Es wird 1326 erstmals als Jessen, 1406 als Jessin erwähnt und aus dem altsorbischen mit „Siedlung bei den Eschen übersetzt“.

Jessen (Niederlausitz) existiert nicht mehr, ist Anfang der 70er Jahre der Braunkohlegewinnung anheim gefallen, devastiert, wie es fachlich heißt. Erstmals erwähnt und wohl ebenfalls slawischen Ursprungs ist es 1346.

Hinterjessen ist ein Ortsteil von Pirna im Osterzgebirge. 1587 wurde der Ort erstmals als „New Jeßendorf“ erwähnt. Durch die Anlage eines Vorwerks wurde es später in Vorder- und Hinterjessen getrennt. Letzteres erhielt 1838 die Selbstständigkeit als Landgemeinde, wurde aber 1923 nach Pirna eingemeindet.

Darüber hinaus gibt es noch Orte, deren Namen ähnlich dem Jessener sind. Zum Beispiel:

Jeßnitz (Anhalt), heute Raguhn-Jeßnitz, wird 1259 erstmals erwähnt. Der historische Ort ging wahrscheinlich aus einer Fischersiedlung hervor. Bemerkenswert ist der gleiche Ursprung des Namens: 1265 hieß der Ort auch Jezzant, ab 1297 Jessenitz.

Das bedeutet jedoch auch, dass die Herren und Damen des Namens Jessen momentan durchaus die Gesamteinwohnerschaft der Kernstadt an der Schwarzen Elster stellen könnten. Die betrug im Jahr 1964 laut Stadtangaben genau 5 570. Fünfundzwanzig Jahre später waren es dann zwar 6 850 Einwohner. Aktuelle Angaben gibt es seither nur noch für die gesamte Stadt mit Eingemeindungen. Aber grob geschätzt dürfte sich die Einwohnerschaft der Jessener „Hauptstadt“ auf dem Niveau von damals eingepegelt haben - Stichwort „demografischer Wandel“.

Als Nachname im Norden

Interessant ist, dass in der Stadt Jessen selbst niemand zu finden ist, zumindest niemand wohnt, der Jessen heißt. Dafür konzentrieren sich die Träger des Namens Jessen in den drei nördlichsten Kreisen der Republik - Nordfriesland (333), Flensburg (163) und Rendsburg-Eckernförde (108) sowie in Hamburg. Wobei der „Stadtstaat“ mit 160 Telefonbucheinträgen „Jessen“ an dritter Stelle liegt. Beinahe flächendeckend, aber deutlich weniger konzentriert, verteilt sich der Name in Westdeutschland. In insgesamt 209 Städten/Orten gibt es bundesweit Einwohner mit dem Namen Jessen.

Für Jürgen Udolph ist der Name Jessen für die Stadt an der Schwarzen Elster „eine hochspannende Geschichte“. „Der Name ist eine Partizipialbildung“, erklärt er. „Jessen hieß früher Jezzant. Und alles, was auf -nt oder nd endet, also partizipial, wie liegend, lachend, singend, ist germanischen Urspungs. Also nicht slawisch, wie man vermuten könnte.“ Schon 1265 ist der Ort als Jezant vermerkt.

Manfred Uhlig, jahrzehntelang Spaßvogel von Radio DDR und gemeinsam mit Günter Hansel Gastgeber von 289 Radiosendungen „Alte Liebe rostet nicht“, erklärte in der Sendung die am 30. November 1973 im Kreiskulturhaus „Drushba“ aufgezeichnet wurde, das Entstehen des Ortsnamens auf folgende Weise:

Fast off’m Tag war’s, dass sich vor etwa 750 Jahren zu Himmelfahrt de Männer von ihren Familien verabschiedeten, um angeputzt mit Zylinder, Pappnase, Spazierstock mit Fahrradklingel und ’ner Fääpe ’n Vatertag zu begeh’n. Motto des Tages war: „Mir spiel’n heute Talsperre, mir lassen uns langsam vollloofen!“ Nachdem sich die Trinkpegel dem Scheitelpunkt genähert hatten, ertönte plötzlich die Stimme vom ollen Rudi, der bei derartigen Festlichkeiten immer’s große Wort führte: „Männer, just in diesem Moment schlägt ’ne große Stunde für uns alle. Obwohl ich schon ganz schön angeschickert bin, is mir eb’n a richt’ch scheener Ortsname eingefallen. Um Mitternacht, wenn der Kuckuck zwölfmal kuckuckt, wer’chn lauthals verkünden. Prost alle zusamm’!“

Rudi nahm noch een’ zur Brust und schlief seelig ein. Kurz vor Mitternacht ertön’s im Chor: „Rudi, der Name, Rudi, der Name, Rudi, der Name!“ Wie von der Tarantel gestochen fuhr Rudi hoch und fragte schlaftrunken: „Was denn für ä Name?“ - „Na du wolltest doch jetzt unser’n Ortsnamen verraten!“ Völlig verdaddert starrte Rudi alle an und jammerte: „Ich hab den Namen verjessen!“

Seit der Zeit heißt Jessen Jessen! Verrückt!

Das Buch „Städtenamen verrückt“ umfasst 264 Seiten und ist vom Verlag Weltbuch herausgegeben; ISBN: 978-3-906212-13-5, 14,90 Euro

Schäumend, gärend, fließend, so wird dies übersetzt. Udolph verweist auf seinen Wissenschaftlerkollegen Walter Wenzel, der das ursprüngliche Jezzant als Benennung eines Teiles der Schwarzen Elster deutet. „Damals“, so erklärt Udolph, „hatten die Siedlungen wenig Kontakt untereinander, so dass einzelne Flussabschnitte völlig unterschiedlich benannt wurden. Erst später nahm man dann eine Stelle als Bezeichnung für das Ganze.“

Jessen mit Jessen nichts zu tun

Der Familienname Jessen hat laut Jürgen Udolph hingegen rein gar nichts mit dem Stadtnamen zu tun. Die Häufung im Norden deutet es schon an. Die Jessens, so der Professor der in Leipzig das Zentrum für Namensforschung betreibt, „gehen entweder auf Jensen (Jens’ Sohn) oder auf eine Kurzform von Jesper/Kasper zurück. Der Ortsname Jessen (Elster) ist darin nicht enthalten“. Demzufolge auch nicht ausgehend von den Ortsnamen der anderen „Jessen“, in der Lausitz etwa. Dort sind die Ortsnamen dann doch eher slawischen Ursprungs, wie Professor Udoplh erläutert. Sie leiten sich aus dem Wort für Esche her. (mz)