Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Jessener Land blutet aus
Seyda/MZ. - "Morgen erwartet uns bestimmt ein massiver Kundenansturm. Wenn die letzten Artikel zu stark herabgesetzten Preisen verramscht werden. Neue Ware gibt es nicht mehr." Das sagt Cornelia Elstermann aus Kleinkorga. Sie arbeitet seit fast 16 Jahre in verschiedenen Schlecker-Filialen, so in Jessen, Herzberg und Torgau. Jetzt ist für sie und ihre Kolleginnen ultimo. "Uns bleibt nur noch der Gang zur Agentur für Arbeit", bedauert sie. Die Kündigung hat sie noch nicht, denkt aber, dass sich bis spätestens Ende Juni für sie und tausende anderer Schlecker-Mitarbeiter deutschlandweit alles erledigt haben wird. Die Filiale in Seyda ist die einzige im Jessener Land, die von den vorangegangenen Schließungswellen verschont blieb.
Enttäuscht über das Ende
Seyda verliert damit eine weitere Einkaufsquelle. Ortsteilbeiratsvorsitzender Eckhard Schwerdt zeigt sich enttäuscht: "Die Schlecker-Schließung ist äußerst schlecht. Eigentlich bedeutet es das Aus für Seyda und die umliegenden Orte. Besonders die älteren Bürger trifft es sehr hart." Im Ortsteilbeirat habe man das Problem ausgiebig diskutiert, eine Lösung sieht keiner. "Uns sind die Hände gebunden, es wird mit der Schließung noch schwieriger", ist seine Meinung. Aber man wolle dranbleiben. Berta Spiegeler, 91 Jahre alt, hatte am Mittwoch ihren Rollator noch einmal voll gepackt. "Das war mein letzter Einkauf bei Schlecker, so ist eben der Lauf der Zeit", meint sie. Emil Motl war bis zur Eingemeindung von Seyda nach Jessen Bürgermeister (damals FDP, heute parteilos): "Die Entwicklung ist beängstigend. Der ländliche Raum wird immer mehr vom Leben abgekoppelt."
Seyda war einst stolzer Amtssitz, eine eigenständige Kleinstadt bis zum 1. März 2004, als die Eingemeindung nach Jessen erfolgte. 910 Einwohner leben hier noch (Stand Mittwoch), Tendenz eher fallend. Mit Einkaufsmöglichkeiten war der Ort einst gut bestückt. Zu DDR-Zeiten gab es eine HO-Lebensmittelverkaufsstelle sowie ein Industriewaren- und Lebensmittelgeschäft von der Konsum-Genossenschaft. Über die Wende hinaus etablierten sich Spielwarenladen, Schuhgeschäft, eins für Textilien und Unterwäsche sowie ein Fleischer. Der Konsum machte dicht. Der einstige HO-Lebensmittelladen am Markt firmierte zuletzt unter "Ingrids Minimarkt". Die Inhaberin zog aus, das Gebäude ist abbruchreif. Geschlossen wurde auch der Markt in der Jüterboger Straße, wo es Waren des täglichen Bedarfs gab. Heute befindet sich darin eine Fleisch- und Wurstwarenverkaufsstelle von Seydaland.
Skepsis bei Sortimentserweiterung
Gegenüber betreibt Hans-Ulrich Freyer ein Floristik-Geschäft. Auch zwei Backwaren-Verkaufsstellen gibt es. Im "Landhandel" von Gabriele Schulze kann man unter anderem Baustoffe und Elektroinstallationsmaterial kaufen. Werden jetzt Artikel der Drogeriekette übernommen? Inhaberin Gabriele Schulze schüttelt mit den Kopf: "Geht nicht, das Einzige was wir schon immer anbieten, ist Tiernahrung." Gegenüber hat Ursel Klapper ihr Geschäft "Zeitungen und Schreibwaren". Das Anwesen ist klein, die Lagermöglichkeiten begrenzt. "Vom Schlecker-Sortiment kann ich beim besten Willen nichts übernehmen", sagt sie. Auf dem Gelände der Seydaland Vereinigten Agrarbetriebe ist die Geka GmbH ansässig. Obst, Gemüse und Kartoffeln sind das Hauptangebot. In kleinen Mengen werden auch Getränke sowie Butter, Margarine und Süßwaren angeboten. "Sortimentserweiterung? Eigentlich nicht, aber man sollte niemals nie sagen", meint Geschäftsführer Egon Clemens. Eine Alternative neben den mobilen Händlern ist jeden Donnerstag der Wochenmarkt. Dass sich große Handelsketten in Seyda ansiedeln werden, ist mehr als unwahrscheinlich. Es fehlt einfach die erforderliche Anzahl von Kunden.