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Kliniken in Afghanistan Kliniken in Afghanistan: Dunkle Augen ohne Zukunft

Von Sven Gückel 03.09.2013, 08:50
Dieser Junge hat Glück. Der Ausgleich seiner unterschiedlichen Beinlängen wird in der Irene-Salimi-Klinik vorgenommen.
Dieser Junge hat Glück. Der Ausgleich seiner unterschiedlichen Beinlängen wird in der Irene-Salimi-Klinik vorgenommen. Sven Gückel Lizenz

Holzdorf/Kabul/MZ - Widersprüche sind fester Bestandteil der afghanischen Gesellschaft. Afghanen sind höfliche Menschen, schätzen die Gastfreundschaft. Wer von ihnen in ihr Haus zum Tee eingeladen wird, gehört fortan zur Familie. So gesehen darf ich mich jetzt als jüngstes Mitglied der Familie Bahawoddin betrachten, deren Gast ich unlängst sein durfte. Umarmungen, gute Wünsche - man zeigt gern, wer einem sympathisch ist. Demgegenüber tun sich im Land viele Schattenseiten auf. Korruption ist gängige Praxis, und sei es nur, um mir an interessanten, aber bewachten Orten Zutritt für Fotos zu geben. Wer eine entsprechende Position erreicht hat, ganz gleich wo, hält die Hand auf. Polizisten kassieren auf offener Straße ab, ranghohe Militärs schicken ihre dafür ungeeigneten Söhne zum Studium ins Ausland, Zollbeamte blockieren Waren, bis auch sie ihren Teil davon sehen.

Dass die Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen nur schleppend voran geht, scheint somit logisch. Die Hoffnung aufrecht halten einzelne Lichtzeichen. Ein solches Wunder entdeckte ich beim Besuch des Irene-Salimi-Kinderhospitals in Kabul. Ich habe seit 2009 schon mehrere Krankenhäuser in Afghanistan besichtigt, etwas Vergleichbares aber noch nie gesehen. Diese Chance zu erhalten, dürfte ohnehin gering sein. Das Klinikum ist penibel sauber, kein Schmutz bedeckt Wände, der Boden blitzt. Vom medizinischen Standard her ist das Hospital dem deutschen angepasst. Ein duftender Rosengarten umgibt das Gelände, Wein rankt an einem Holzspalier empor. Die Küche glänzt und erfreut sich bester Zutaten, angebaut im eigenen Gemüsegarten. Etwas abseits sorgt ein kleines Solarkraftwerk für Wärme und Strom. Hightech der modernsten Art. Mit berechtigtem Stolz führt Azim, Vize-Klinikleiter, durch das Haus.

Eine Klinik hat seit März kein Geld für Medikamente erhalten

Die Klinik ist ein humanitäres Projekt, ihr Leiter, Georg Dechentreiter, lebt im schwäbischen Bebra. Während andernorts die Mühen engagierter Menschen im Sumpf aus Misswirtschaft, Diebstahl und Korruption verenden, ist das Konzept des Irene-Salimi-Hospitals von Erfolg gekrönt. Alle hier tätigen Ärzte, sowie einige Pfleger werden regelmäßig nach Deutschland zur Weiterbildung geschickt, sind damit auch der deutschen Sprache mächtig. 1 700 Operationen führen sie jedes Jahr durch, 7 000 Patienten passieren die Tagesvisite. Die Unkosten deckt zu 70 Prozent die Stiftung, den Rest müssen die Patienten aufbringen. Geld vom Staat gibt es nicht.

Darauf zu hoffen, wäre ohnehin ein vergebliches Unterfangen. Die Leitung der unweit entfernten Indira-Gandhi-Klinik jedoch ist genau auf diese Mittel angewiesen. Seit März hat sie kein Geld für neue Medikamente erhalten, der technische Standard des Hauses lässt das Wort Klinikum eigentlich nicht zu. Ausgestattet mit 150 Betten, versuchen hier Ärzte und Pfleger das Menschenmögliche. Die Gänge das Hauses sind schmutzig, es riecht nach medizinischem Abfall. Im Behälter auf einem der Flure liegen leere Blutkonserven, leicht bedeckt durch benutzte Binden und Mull. Die Krankenzimmer bieten ein Bild des Grauens. Zwei Kinder teilen sich ein Bett, an dessen Rand die Mütter Tag und Nacht wachen. Ein separater Raum dient jenen Patienten mit Unterernährung. Der Raum ist voll besetzt. Dunkle Augen gucken mich an, tief sitzend in Gesichtern von Jungen und Mädchen. Soweit möglich fahren deutsche Soldaten vorbei, liefern Bettwäsche und Decken ab. Karge Tropfen auf kochendes Gestein.

Zweifelsfrei, die medizinische Versorgung in Afghanistan hat sich seit 2002 verbessert. Doch sie könnte besser sein, wären da nicht Geldgier und Maßlosigkeit im Spiel. Zu den fünf Säulen des Islam gehört neben anderem, Bedürftigen zu helfen. Manchmal würde es schon reichen, ihnen das Wenige, was sie erhalten, auch zu belassen.

Als freier Journalist besucht Sven Gückel für einen längeren Zeitraum Afghanistan, um von dort über die Entwicklung des Landes, seine Menschen, aber auch die hier arbeitenden Soldaten zu berichten.