Jubiläum in Seyda Jubiläum in Seyda: Statt Maurerkelle Kamm und Schere

Seyda - Wenn ein Unternehmen seit 70 Jahren besteht, dann haben sich oft bestimmte Rituale oder Traditionen herausgebildet. Und mag es noch so klein sein. Ein Beispiel dafür ist der Friseursalon Wahle am Seydaer Markt. Am 25. Januar 1946 wurde er von Rudolf Wahle eröffnet. Da gestern geschlossen war, werden sich sicherlich heute Kunden oder einfach nur Gratulanten die Klinke in die Hand geben. Andrea Wahle, die heutige Inhaberin, und ihre Kollegin Elisabeth Michael werden trotzdem wieder mit Kamm und Schere hantieren, um ihre Kunden zufrieden zu stellen. Und sollte eine helfende Hand gebraucht werden, dann steht der Seniorchef Reinhard Wahle dafür bereit.
Zwar hat hat Andrea Wahle zwei Kinder, aber dass eines von beiden einmal ihre Nachfolge antritt, glaubt sie nicht so richtig. Ihre Tochter absolviert ein Studium und ihr Sohn, der zur Schule geht, scheint kein großes Interesse an Schere, Fön und Kamm zu haben. Doch darüber wird sich heute wohl keiner große Gedanken machen. Erst einmal wird es viele Glückwünsche zum 70-jährigen Bestehen des Friseursalons Wahle in Seyda geben.
Rudolf Wahle, Sohn des Ofensetzers Otto Wahle, hatte keine Chance den Betrieb seines Vaters zu übernehmen, weil sein älterer Bruder dazu auserkoren war. Also wollte er etwas anderes lernen und wurde Friseur. 1945 begann er im Alter von 31 Jahren mit dem Frisieren und Haareschneiden in der Wohnung seiner Eltern. Das war natürlich nur ein Notlösung. Es musste etwas Dauerhaftes her. Das fand er dann im Haus seines Schwagers Max Lüdecke am Markt. Am 25. Januar 1946 eröffnete er dort einen Herrensalon, der ein Jahr später um einen Damensalon erweitert wurde. 1947 legte er seine Meisterprüfung ab und bildete danach elf junge Menschen in diesem Beruf aus. Nach seinem Tod übernahm Ehefrau Anni das Geschäft.
Sohn Reinhard wollte seinen Eltern nacheifern, erlernte bei ihnen das Friseurhandwerk. Auch er wurde Meister und zwar 1966. Am Tag ihrer Silberhochzeit im April 1990 machten sich dann Reinhard und Christel ein besonderes Geschenk, sie übernahmen den seit 1966 zu einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks gehörenden Salon wieder in eigene Regie. Zwei Jahre später wurde alles modernisiert. Seit dem 7. Oktober 2008 hat nun Tochter Andrea Wahle das Sagen. Ihr Vater ging nach dem Tod seiner Frau in den Ruhestand, hilft nur noch aus, wenn Not am Mann ist. Deshalb wurde 2009 mit Elisabeth Michael eine Mitarbeiterin eingestellt, die mittlerweile nach Seyda gezogen ist. Das erwies sich auch als Glücksfall, denn sie kümmert sich vor allem um die jüngeren Kunden, während ihre Chefin sich um die Frisuren der Stammkundschaft bemüht. „Wir haben gut zu tun“, erklärt Andrea Wahle.
Sie bekennt allerdings auch, ursprünglich nichts mit dem Haareschneiden am Hut gehabt zu haben. „Meine Eltern hatten damals wenig Zeit“, begründet sie. Und das wollte sie sich nicht antun. Erst in der zehnten Klasse änderte sie ihre Einstellung - mit aller Konsequenz. Sie lernte nicht nur den Beruf, sondern machte 1990 auch ihren Meisterabschluss. Bereut hat sie diesen Schritt nicht und meint: „Jetzt will ich es durchhalten“. (mz)