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Jessener Bürgerbüro Jessener Bürgerbüro: 20.000 Euro aus dem Verkauf von Müllbanderolen fehlen

Von Michael Hübner 05.02.2014, 19:07
Um die neuen Müll-Banderolen gibt es Ärger.
Um die neuen Müll-Banderolen gibt es Ärger. Thomas Klitzsch Lizenz

Wittenberg/MZ - Es ist schon wieder passiert! Dieses Mal wird im Jessener Bürgerbüro der Kreisverwaltung der Verkauf der Müllbanderolen nicht korrekt abgerechnet. Es geht nach MZ-Informationen um 20.000 Euro. Landrat Jürgen Dannenberg (Linke) bestätigte „finanzielle Unregelmäßigkeiten“ und sagt: „Ich dementiere nicht“.

Das Geld muss über einen längeren Zeitraum unbemerkt abgezweigt worden sein. „Dazu will ich nichts sagen“, erklärt der Verwaltungschef betont aber, dass dies „in keinen zwei Tagen“ zu schaffen sei. Der Mann gibt sich wortkarg. Auch den Fraktionschefs des Kreistages verrät er hinter verschlossenen Türen am 11. November nicht viel mehr. Einiges liegt noch immer im Dunkeln im zweiten Banderolen-Krimi. Lückenlose Aufklärung sieht ganz anders aus. Dafür zuständig ist in erster Linie das Rechnungsprüfungsamt. Die Chefin des Kontrollgremiums fühlt sich nicht für Presseauskünfte zuständig, vermittelt aber einen Gesprächspartner. Beim Rückruf ist der Landrat wieder an der Strippe und betont: „Dem Kreis ist kein Schaden entstanden!“

Überweisung von 20.000 Euro

Doch das ist nur reiner Zufall. Die Mitarbeiterin - von Gewissensbissen geplagt oder von einer angekündigten Kontrolle aufgeschreckt - überweist plötzlich 20.000 Euro. Die Sache fliegt auf. Das Personal vor Ort wird ausgetauscht. Dannenberg will die „juristische Wertung“ anderen überlassen, ist aber überzeugt, dass dies „ein Nachspiel“ haben wird. Der Verwaltungschef hat nach eigenen Angaben im November Anzeige gestellt.

Nach den MZ-Anfragen hat er sich am Dienstag bei der Staatsanwaltschaft erkundigt, ob sein Schreiben angekommen sei. „Das wurde mir bestätigt“, so Dannenberg. Doch die Dessauer Behörde hat sich zum Fall offensichtlich noch keine Meinung gebildet. Das würde erklären, warum die Polizei bisher nicht aktiv ist. Sprecher Steffen Kind erklärt nach Rücksprache „in den zuständigen Dienstbereichen“, es seien „keine aktuellen Banderolenfälle im Bereich Jessen polizeilich bekannt.“ Dafür hat der Dessauer eine Neuigkeit. „Zum Banderolenfall - Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung - in Gräfenhainichen sind die Ermittlungen abgeschlossen.“ Die Geschichte des ersten Teils des Banderolen-Thrillers ist also geschrieben. Dabei haben die langwierigen Recherchen zu keinem echten Ergebnis geführt. „Mangels Tatverdachts wird das Verfahren eingestellt“, so Oberstaatsanwalt Christian Preissner zur MZ. Das ist die letzte Überraschung in einem echten Finanzkrimi, in dem nichts so ist, wie es zunächst scheint. Es geht um 10 000 Euro - und die sind unwiederbringlich weg.

Wiedergutmachung wird abgelehnt

Den Stein ins Rollen bringt eine Mitarbeiterin. Sie schreibt einen Entschuldigungsbrief an den Bürgermeister Harry Rußbült (Linke). Allerdings gesteht sie ihr Malheur erst nach Monaten ein. Demnach hat ein Unbekannter im für Minuten verwaisten Gräfenhainichener Bürgerbüro fette Beute gemacht. Die Frau, von Schuldgefühlen geplagt, bietet an, das Geld in Raten zurück zu erstatten. Der Rathaus-Chef lehnt ab. Er glaubt ihr kein Wort - vor allem nicht die Story vom großen Unbekannten. Der Grund ist simpel: Theoretisch ist es unmöglich, dass sich 10.000 Euro in der Müllkasse befunden haben. Neue Marken gibt es immer erst von der Kreisverwaltung, wenn die alten abgerechnet sind.

Kontrolle und Gegenkontrolle durch zwei Bereiche schließen Missbrauch aus. So funktioniert dies in Coswig. Nur in Absprache mit der Stadtkasse fordert das Coswiger Bürgerbüro Müllbanderolen, Wertmarken und Abfallsäcke in der Kreisverwaltung an.

Banderolen und Wertmarken werden im Panzerschrank der Stadtkasse gelagert und nur gegen Ausweis und Unterschrift an die Verkaufsstellen ausgehändigt, die eigenständig mit dem Kreis abrechnen. Das Bürgerbüro verfügt über ein Limit von 100 Müllmarken, der Verkaufserlös wird der Stadtkasse übergeben. Wenn der Kreis die Rechnung geschickt hat, wird per Überweisung beglichen.  

Stimmt die Version der Rathaus-Angestellten, müssen Kontrollmechanismen in Gräfenhainichen, aber auch in der Kreisverwaltung versagt haben. Das hält Rußbült für unwahrscheinlich. Er stellt im Sommer 2012 Strafanzeige und präsentiert den Ermittlern und den Stadträten die vermeintliche Täterin. Die Unschuldsvermutung - eine Grundregel in der Rechtsprechung - wird in der Heide außer Kraft gesetzt. Und so leistet keiner der Volksvertreter wirklich Widerstand gegen den Versuch der fristlosen Kündigung der Mitarbeiterin. Doch auch das endet im nächsten Desaster. Der folgende Arbeitsrechtsstreit mündet in einem Vergleich. Darin verpflichtete sich die Stadt, „die erhobenen Vorwürfe nicht weiter aufrechtzuerhalten“. So verlieren die Ermittlern des Fachkommissariats drei der Polizeidirektion plötzlich und unerwartet über Nacht den Hauptverdächtigen.

Gräfenhainicher müssen zahlen

Und so könnte sich der bisher spektakulärste Diebstahl im Gräfenhainichener Rathaus abgespielt haben. Es ist Donnerstag, der 3. Februar 2011 (!): Die Mitarbeiterin ist allein im Bürgerbüro. Es herrscht viel Andrang, schließlich ist Sprechtag. Müllmarken sind nicht sonderlich gefragt. Dreimal werden Banderolen verlangt. Das Malheur passiert beim letzten Kunden. Die Mitarbeiterin räumt ein, dass sie vergessen habe, das Geld und die Banderolen wieder in den Schrank zurückzulegen. Sie stürzt - von einer Notdurft geplagt - auf die Toilette. Jetzt schlägt der Unbekannte blitzschnell zu. Den Diebstahl selbst habe sie erst am nächsten Tag bemerkt. „Ich habe aus Furcht vor Ihnen und aus Scham immer wieder gezögert, den Vorfall zu melden“, schreibt das mutmaßliche Opfer einer Straftat an ihren Chef. Das alles ändert nichts mehr. Auch in dem Fall betont Dannenberg, dass „dem Kreis kein Schaden“ entstanden sei. „Das wurde mit der Stadt verrechnet“, so der Verwaltungschef. Im Klartext: Das Minus haben die Gräfenhainichener zu bezahlen beziehungsweise auszugleichen. Das kennen die Heidestädter ja schon von 2009. Erstmals verschwinden Müllmarken aus dem Rathaus. „Damals“, so ein Insider, „wurde der Betrag einfach ausgebucht.“ Still und leise gingen die Verantwortlichen zur Tagesordnung über.

Stichproben und scharfe Kontrollen

Das soll jetzt anders werden. Dannenberg will einen dritten Teil des Banderolen-Thrillers verhindern. „Es wird Stichproben in den Bürgerbüros geben“, kündigt er an. Auf Nachfrage bestätigt der Landrat, dass sich eine Arbeitsgruppe mit dem Thema befasst. Eine Lösung dürfte nicht an der Technik scheitern. Die Bürgerbüros des Kreises haben Standleitungen zum Wittenberger Haupthaus. Aber es reicht vielleicht auch schon ein Gespräch mit den Sicherheits-Experten der Sparkasse. Dort ist Dannenberg der Vorsitzende des Verwaltungsrats.