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Jessen Jessen: Akrobat über der Heide

Von H.-DIETER KUNZE 14.10.2011, 18:48

MÜGELN/ZELLENDORF/MZ. - Steil nach oben, Loopings, Rollen und dann kopfüber wieder abwärts. Einige, allerdings sichere Meter über dem Erdboden die Maschine wieder in die Waagerechte gebracht, der Motor heult auf, dann geht es erneut aufwärts. Ständig werden diese Figuren geübt. Über der Glücksburger Heide. Am Steuer der Maschine Heiner Wehberg. Der Flugplatz der Fläming Air GmbH in Zellendorf ist sein zweites Zuhause.

Hier ist auch seine Maschine stationiert, eine kleine, wendige Xtreme 3 000. Heiner Wehberg fliegt sie seit 2009. Sie gleicht der SBach 300, ist aber in der Technik noch ausgefeilter. Konstrukteur ist Philipp Steinbach, produziert werden die Maschinen in Cochstedt in Sachsen-Anhalt. Derzeit gäbe es weltweit nur 15 Exemplare dieses schnittigen Kunstflugzeuges, die meisten sind Einsitzer, erklärt Wehberg. Das Leergewicht beträgt 560 Kilogramm. Die so genannte Rollrate, also die Drehung um die eigene Längsachse, erlaubt 420 Grad pro Sekunde. Maximal 225 Knoten (425 Stundenkilometer) schnell ist der Flitzer der Lüfte. In einer Minute erreicht das Flugzeug im Steigflug eine Höhe von 4 800 Fuß (Längenmaß in der Luftfahrt, ein Fuß gleich 30,48 Zentimeter).

Heiner Wehberg wohnt in Ellmau in Österreich. Eigentlich ist der heute 37-Jährige ein gebürtiger Saarbrücker. Seine fliegerische Laufbahn begann bei der Bundeswehr. Dort flog er vom Stützpunkt Fritzlar aus einen Helikopter vom Typ Bo 105, in der Variante als Panzerabwehrhubschrauber. Nach dem Ausscheiden vom aktiven Dienst in der Truppe blieb er der Fliegerei treu. Bis heute ist er für den ADAC mit dem Rettungshubschrauber (Eurocopter EC 135), Kennung Christoph Europa 1, im Einsatz. Der ist bei Aachen stationiert. Die Zahl der Flüge zur Rettung von Menschenleben nach Unfällen oder Katastrophen gehen wohl in die Hunderte. Der Job ist anstrengend, erfordert höchste Konzentration. Trotzdem reizte Heiner Wehberg schon vor Jahren der Motorkunstflug.

"Probiere ich es doch einfach mal aus", sagte er sich. So nahm er 2005 an einem Trainingslager für Motorkunstflieger in Reinsdorf bei Jüterbog teil. Philipp Steinbach war da sein erster Mentor und erkannte wohl die Talente, die in dem jungen, dynamischen Piloten stecken. "Ich bleibe dran", sagte sich Heiner Wehberg. Ludwig Hoffmann, ein begeisterter und erfolgreicher Kunstflieger aus Berlin - mehrere Meistertitel errang er national und international - nahm sich seiner an und wurde Trainer. Mehrfach war er bei Flugtagen der Fläming Air in Zellendorf zu erleben. Entweder allein oder in spektakulären Gemeinschaftsschauflügen mit Klaus Schroth, vielfacher Welt-, Europa- und Deutscher Meister im Motorkunstflug.

Warum wird man ausgerechnet Motorkunstflieger? Heiner Wehberg zögert nicht mit der Antwort: "Es ist einfach eine Herausforderung, dieser Spaß am Fliegen mit höchster Präzision. Die Toleranzen sind äußerst eng. Maximal fünf Grad Abweichung bei Rollen oder Linien beispielsweise sind erlaubt. Die Kampfrichter sind da sehr streng." Wie orientiert man sich in der Luft, wo oben plötzlich unten, rechts auf einmal links ist? "Jede einzelne Figur wird am Boden vor dem Start zigmal in Gedanken Schritt für Schritt durchgegangen und skizziert, man prägt sich markante Punkte am Boden ein. Auch die jeweiligen Windverhältnisse spielen selbstverständlich eine Rolle. Schließlich muss man natürlich ständig einen Blick auf die Instrumente haben", erklärt er. Die körperlichen Belastungen beim Kunstflug sind enorm. Beim Steigflug, der so genannten positiven Beschleunigung, wird der Pilot mit der bis zu zehnfachen Erdbeschleunigung (G) in den Sitz gepresst. Ein Siebzig-Kilo-Mann wiegt plötzlich gefühlte 700 Kilo. "Da fällt selbst das Atmen schwer. Man muss es einfach trainieren, mit der so genannten Pressatmung. Sonst droht Bewusstlosigkeit", schildert Heiner Wehberg seine und die Erfahrungen anderer Motorkunstflieger. Beim Sturzflug (negative Beschleunigung) sind es "nur" noch bis zu sieben G, die auszuhalten sind. Das Blut strömt massiv Richtung Kopf. "Im Laufe der Zeit gewöhnt sich der Körper aber an eine gewisse G-Toleranz", sagt der Kunstflieger. Körperliche Fitness ist dafür selbstverständlich die grundlegende Voraussetzung. Die eignet er sich mit Ausdauersport und Gymnastik an. Auch im Kopf muss immer alles klar sein.

Maximal 15 Minuten dauert ein Einsatz zwischen Himmel und Erde. Die Ruhezeit bis zum nächsten Flug währt mindestens zwei Stunden. Bisher nahm Heiner Wehberg an nationalen Motorkunstflugmeisterschaften teil. Zurzeit trainiert er für die deutschen Meisterschaften im kommenden Jahr.

Wehberg lebt in einer Partnerschaft mit der Spanierin Saskia Guijarro. "Klar haben wir ein gemeinsames Kind", meint er verschmitzt lachend. Es ist "Siggi", ein spanischer Jack-Russel-Hund. Vor dem Fliegen hat der wenig Angst. "Aber nur an Bord eines normalen Sportflugzeuges", klärt der Kunstflieger auf.

Ob ihn, den Piloten, jemals etwas am Motorkunstflug hindern könnte? "Solange ich fit bin, bleibe ich dran", bekräftigt er resolut. Obwohl die Kosten für dieses Hobby ständig steigen. Das beginnt schon mit der Anschaffung. Für eine SBach 300 muss man in der Grundvariante lockere 300 000 Euro hinblättern. "Es sind vom Preis her eigentlich fliegende Eigenheime", meint Heiner Wehberg lachend. Spricht's schiebt seine Maschine zur Rollbahn und startet zur nächsten Trainingseinheit über der Heide.