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Hochwasser in Elster Hochwasser in Elster: Wenig Zeit für Tränen

Von Gabi Zahn 16.06.2013, 19:53
Reinhardt Giersch zeigt in seiner Tiefgarage in der Siedlungsstraße den persönlichen Pegelhöchststand. Knapp darunter blieb es diesmal: „Uns reichts. Nicht noch einmal.“
Reinhardt Giersch zeigt in seiner Tiefgarage in der Siedlungsstraße den persönlichen Pegelhöchststand. Knapp darunter blieb es diesmal: „Uns reichts. Nicht noch einmal.“ Gabi Zahn Lizenz

Elster/MZ - Die ersten Tränen sind nur scheinbar getrocknet. Jetzt gilt es, einen klaren Blick für die Dinge zu behalten, die zu tun sind. Das Chaos, das die Flut in Haus und Hof geschwemmt hat, muss beseitigt werden. Vielerorts in Elster.

Möbel sind unbrauchbar

Die 74-jährige Margot Schulze schleppt seit Donnerstag Stück um Stück ihres unbrauchbar gewordenen Mobiliars nach draußen. Bald türmt sich ein Berg von Sperrmüll vor ihrem Haus auf, der die Körpergröße der Seniorin an Höhe überragt. Ihre drei Töchter hatten sich vor drei Wochen angesichts der nahenden Flut verständigt, wie der Mutter geholfen werden kann. Sie wollte nicht aus ihrem Haus, als die Elbe immer höher stieg. Marion und Andrea wohnen mit ihren Familien im Sauerland, Antje in Klein-Marzehns. Marion kam nach Elster und stellte die Mutter vor vollendete Tatsache: „Wir fahren jetzt zu Antje und bleiben, bis die Gefahr vorbei ist.“ Die Töchter sorgten sich sehr, denn vor drei Jahren verstarb der Vater. Außerdem hat Margot Schulze bereits einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall erlitten. Beide richteten nach der Flut von 2002 ihr Heim wieder hübsch ein. „Diesmal wäre Mutter jedoch allein im Haus gewesen, das konnten wir nicht zulassen“, beschreibt Marion die Situation. Sie selbst blieb solange mit in Klein-Marzehns, bis die Deutsche Bahn wieder eine Verbindung ins Sauerland zuließ. Im Elsteraner Keller war das Wasser mittlerweile bis zu 1,40 Meter hoch gestiegen, der Garten bis zu 90 Zentimeter überflutet.

Als Margot Schulze am Donnerstag wieder zurück durfte, war der Schock groß. Marion kam schon am Freitagabend wieder - diesmal mit ihrem Mann Uwe. Alle drei packten übers Wochenende kräftig zu. „Bis zum nächsten Arbeitseinsatz ist jetzt alles so vorbereitet, dass Mutter zurechtkommt“, bekräftigt Marion, bevor sie und ihr Mann am Sonntag zurückreisten. In etwa einer Woche kommt Andrea mit Schwiegersohn Christoph für die nächste Aufräum-Aktion. Als sich Margot Schulze dem Garten widmet und versucht, die Stauden von der angetrockneten Schmiere zu reinigen und die verkeimten Gemüsepflanzen aus der Erde zieht, kommen die Tränen erneut. Wie oft kann ein Mensch so etwas ertragen? Margot Schulze, die in Gummistiefeln im Garten am Boden kauert und versucht, zu retten, was noch zu retten ist, sagt: „Nicht noch einmal. Das sagen viele Leute hier. Ein drittes Mal gibt es nicht mehr. Dann hauen sie ab.“

Solche Gedanken geistern auch in den Köpfen von Reinhardt Giersch und seiner Frau Marlene herum. Sie versuchen, die Tiefgarage und den angrenzenden Hausbereich von Schlamm und Wasser zu reinigen. Auch für sie ist alles wie ein Déjà-vu von 2002. Die Familie hat damals ihre private Hochwassermarke angebracht: „Diesmal blieb es wenige Zentimeter drunter“, zeigt der Hausherr auf die Graufärbung der Wand in Höhe seiner Schulter. Beide hatten insgesamt viermal – davon zweimal extrem – mit dem Wasser im Haus zu kämpfen. „Wir leben mit dem Fluss und machen auch kein Theater, wenn das Grundwasser etwas höher steigt. Aber diese Masse, wie es jetzt wieder war, können wir nicht mehr verkraften“, beschreibt der 65-Jährige. Versichern konnte er das Grundstück aufgrund der nahen Flusslage nicht. Giersch ärgert sich auch, dass er weit und breit keine Firma findet, die etwa 2 500 Liter Heizöl abpumpt. „Wir werden eine andere Heizung einbauen, damit wir wenigstens die Angst los sind, dass mit den Tanks etwas passieren könnte.“ Der Mann zeigt sich außerdem sehr enttäuscht vom Krisenmanagement der Stadt Zahna-Elster. „Es wäre wohl kein Problem gewesen, wenn man mit dem Megaphon herumgefahren wäre und die betroffenen Leute benachrichtigt hätte, was vor sich geht. Erst als ich in der bewussten Nacht beim Bürgermeister angerufen habe, erfuhr ich, dass der Damm aufgegeben wurde“, vollzieht er die Geschehnisse mit stockender Stimme nach.

Haus muss entkernt werden

Ein mehrköpfiges Hilfsteam, bestehend aus Familienangehörigen und ehemaligen zbo-Arbeitskollegen, versucht auf dem Grundstück von Marie und Erhardt Stanitz in der Elbstraße für Ordnung zu sorgen. Während der 81-Jährige noch tüchtig mit zupackt und den Überblick nicht verlieren will, reichen die Kräfte seiner Frau für solche Arbeiten nicht mehr. Das Gebäude muss fast völlig entkernt werden. Beide haben vorerst im Haus des Sohnes eine neue Bleibe gefunden. Enkelsohn René (31) hat dafür seinen Wohnbereich zur Verfügung gestellt. „Wir hatten diesmal gehofft, dass das Heizöl sicher ist. 2002 waren die Plastetanks gerissen. Deshalb ließen wir spezielle Sicherheitstanks einbauen. Trotzdem ist Öl ausgelaufen“, beschreibt Erhardt Stanitz das Desaster. Versichert werden konnte das Anwesen nicht. Die Familie rechnet mit einem vorläufigen Schaden von 150 000 Euro. Fachleute sollen in den nächsten Tagen kommen. Dass beim Ausräumen hin und wieder auch gescherzt wird, zeugt eher vom Galgenhumor. Dies wird deutlich, als sich Erhardt Stanitz für einen Moment im früher so gemütlichen Wohnzimmer hinsetzt und die kahlen Wände betrachtet: Leise sagt er: „Ich weiß noch nicht, wie wir das alles überstehen. Ein nächstes Mal gibt es nicht mehr.“ Weil sich die Augen des Opas mit Tränen füllen, setzt sich der Enkel dicht neben ihn. Beide verharren einen Augenblick miteinander. Dann stehen der junge und der alte Stanitz gemeinsam auf – und arbeiten mit den anderen weiter.

Tochter Marion ist mit ihrem Mann Uwe aus dem Sauerland gekommen, um Mutter Margot Schulze zu helfen.
Tochter Marion ist mit ihrem Mann Uwe aus dem Sauerland gekommen, um Mutter Margot Schulze zu helfen.
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Galgenhumor beim Ausräumen. Eberhard Stanitz (3.v.r.) sagt: „Die Elbe war zum wiederholten Mal hier.“
Galgenhumor beim Ausräumen. Eberhard Stanitz (3.v.r.) sagt: „Die Elbe war zum wiederholten Mal hier.“
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