Historische Nachforschungen Jessener Gymnasiastinnen Historische Nachforschungen Jessener Gymnasiastinnen : Ein "Stolperstein" für Walter Simson

Jessen - In der südwestlichen Ecke des Jessener Friedhofs befindet sich bis heute das Grab von Dr. Walter Simson. Auf dem Grabstein steht „Rechtsanwalt u. Notar in Jessen“, als Geburtsdatum wird der 23.5.1886 angegeben, als Todestag der 2.10.1935. Was auf dem Stein nicht zu lesen ist, aber Recherchen von drei Jessener Gymnasiastinnen nahelegen: Walter Simson - jüdischer Herkunft, aber zum Katholizismus konvertiert - nahm sich das Leben, weil er den zunehmenden Repressalien durch das nationalsozialistische Regime - vielleicht sogar mit einem Quasi-Berufsverbot belegt - nicht mehr gewachsen war.
Die Online-Version vom Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland 1933 -1945 (bundesarchiv.de/gedenkbuch) steht der Öffentlichkeit seit Dezember 2007 zur Verfügung. Sie enthält die Namen, Daten und Schicksalswege von derzeit mehr als 170.000 Personen und wird ständig weiterentwickelt. Den Kern des Online-Gedenkbuchs bildet das Namensverzeichnis, das mittels einer Suchmaske, die verschiedene Kriterien abfragt, die Recherche nach bestimmten betroffenen Menschen ermöglicht.
Die Zehntklässlerinnen Jessica Krause, Jasmin Gräser (beide aus Jessen) und Luise Neupert (Schweinitz) forschen seit November 2014 in ihrer Freizeit zu dem Schicksal von Walter Simson. Er ist im Online-Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland 1933 bis 1945 aufgeführt. Das haben die jungen Frauen aus der 10a mit Hilfe ihres Geschichtslehrers Hans-Marten Kuhwald herausgefunden. Aus besagtem Online-Gedenkbuch ist zu entnehmen, dass Walter Simson in Danzig/Westpreußen zur Welt kam und in Jessen in den „Freitod“ ging.
Archiv ist aufschlusseiche Quelle
Weitere aufschlussreiche Quellen für die Gymnasiastinnen sind das hiesige Stadtarchiv und der Jessener Peter Raschig, mit dem sie Ende Februar ein Gespräch zu seinen Kenntnissen über Walter Simson führten. Münden sollen die historischen Nachforschungen der Zehnt- klässlerinnnen, so ihr und das Bestreben von Geschichtslehrer Hans-Marten Kuhwald, der ihnen beratend zur Seite steht, in das Verlegen des ersten Jessener „Stolpersteins“ auf dem Schlosshof. Hier hatte Walter Simson seine Anwaltskanzlei und eine Zeit lang war das Schloss auch Wohnsitz seiner Familie. Bei den „Stolpersteinen“ handelt es sich um eine Aktion des Künstlers Gunter Demnig (1947 in Berlin geboren), der diese Steine für Opfer des Nationalsozialismus verlegt. Im Juli 2013 waren bereits 40.000 „Stolpersteine“ mit Angaben zu den betreffenden Menschen in 820 deutschen und 200 ausländischen Städten im Pflaster vor den einstigen Wohnungen der NS-Opfer positioniert. Die Wartezeit auf ein solches dezentrales Mini-Mahnmal beträgt heute etwa ein Jahr.
Stadtverwaltung muss Antrag zustimmen
Voraussetzung, für Walter Simson einen „Stolperstein“ zu bekommen, ist, dass die Jessener Stadtverwaltung einem diesbezüglichen Antrag zustimmt. Hans-Marten Kuhwald bestätigte der MZ in dieser Woche: „Der Antrag an die Stadtverwaltung ist eben rausgegangen.“ Jetzt bleibt den drei Freizeit-Historikerinnen und ihrem Mentor mindestens noch ein Jahr bis zur eventuellen „Stolperstein“-Verlegung in Jessen. „Wir hoffen, es klappt noch vor unserem Abitur“, sagen die jungen Frauen. Die Zeit wollen sie für Recherchen zu etwaigen lebenden Nachfahren von Walter Simson nutzen.
Ermittlungsstand
Der Ermittlungsstand ist dieser: Zum Verbleib der katholischen Frau von Walter Simson konnten bis dato kaum Informationen ausfindig gemacht werden. Die Gymnasiastinnen wissen aber inzwischen, was aus den Söhnen geworden ist. Beide wurden im Dritten Reich als wehrunwürdig eingestuft. Gegen Kriegsende haben sie sich eine Weile in Jessen versteckt. Danach zog ihre Mutter mit ihnen ins Rheinland. Gerald, der ältere Sohn, ging in ein Trappisten-Kloster, hatte infolge seiner Kindheitserlebnisse aber mit nervlichen Problemen zu kämpfen. Später wurde er Priester. Er starb am 16. Mai 2004 in der Abtei Mariawald in der Eifel. Sein jüngerer Bruder Arnold hat wohl später eine Familie gegründet, sich aber dann das Leben genommen. Unterschiedliche Aussagen existieren zum Zeitpunkt dieses Freitods. Was den Zehntklässlerinnen dazu zu Ohren kam, reicht von „relativ früh“ bis „in der Wende-Zeit“. Es besteht also noch Klärungsbedarf. (mz)