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Henrik Schulze erforscht Heimatgeschichte Henrik Schulze erforscht Heimatgeschichte: Fest in der Hand des Militärs

Von Evelyn Jochade 22.03.2017, 11:07
Wie Walter Ludewig (rechts) aus Elster nutzten noch einige Zuhörer die Gelegenheit, Henrik Schulze nach der Lesung in Jessen Fragen zu stellen.
Wie Walter Ludewig (rechts) aus Elster nutzten noch einige Zuhörer die Gelegenheit, Henrik Schulze nach der Lesung in Jessen Fragen zu stellen. Evelyn Jochade

Jessen - Bereits zum dritten Mal zog es an Militärhistorie Interessierte ins Jessener „Schützenhaus“. Der Grund: Henrik Schulze, ehrenamtlicher Ortschronist von Jüterbog (Land Brandenburg, Kreis Teltow-Fläming) und daher profunder Kenner der Materie stellte den nunmehr dritten Band seiner Sachbuchreihe „Jammerbock“ vor.

Viele gut recherchierte Fakten

Somit löste der Autor ein Versprechen ein, welches er bei der Erstlesung des zweiten Bandes vor reichlich einem Jahr seiner treuen Zuhörerschaft gegeben hatte. Und wie bei den beiden Terminen zuvor konnte sich Henrik Schulze nicht über mangelnden Zuspruch beklagen. Dabei besticht der Ortschronist neben vielen gut recherchierten Fakten ebenso durch Detailwissen und eingeflochtene Episoden.

So lernten selbst diejenigen noch Neues, die bisher dachten, alles zu wissen. Nicht wenige hatten Stift und Papier gezückt und schrieben eifrig mit. Nach dem Vertrag von Versailles, welcher eine strikte Abrüstung von Deutschland forderte, war dieser vielfach und ideenreich umgangen worden. Deutschland und seine Militärs wollten unbedingt wieder mitspielen im Konzert der Großmächte.

Ein Jahr dauert das Schreiben eines Sachbuches zur Militärgeschichte Jüterbogs, sagt Henrik Schulze. Davor aber lägen 20 Jahre Recherche. Rund 300 Menschen habe er gesprochen, sich Erlebnisse schildern lassen. Mit manchen habe er zwei oder drei Jahre Kontakt gehabt, bevor sie sich ihm öffneten und jahrelang Verdrängtes aussprachen. Heute leben von ihnen noch um die 50. Zum Großteil sind sie hochbetagt und sehr gebrechlich. „Ich hatte Glück“, schätzt der Autor ein, „dass ich gleich nach der Wende angefangen habe zu sammeln.“ Weshalb ihn gerade das Thema so gepackt hat, beschreibt der 1950 Geborene so: „Ich stamme aus Halbe. Das ist die Stadt in Deutschland mit dem größten Soldatenfriedhof. Ich habe sozusagen auf dem Schlachtfeld gespielt. Das muss irgendwie abgefärbt haben.“ Nach Jüterbog kam er Anfang der 70er Jahre, wurde Direktor des Kreisheimatmuseums und sagt heute über seine Wahlheimat: Hinsichtlich der Militärgeschichte ist Jüterbog in seiner Breite die wichtigste Stadt in Deutschland.

Das Feld war somit bereitet für die Nationalsozialisten, und ihre Ideologie fiel auf fruchtbaren Boden. 1935, hier setzt der dritte Band an, wurde die Reichswehr in Wehrmacht umbenannt und modernisiert. Für Jüterbog als Garnisonsstadt bedeutete diese Entwicklung einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, aber auch einen Zugewinn an militärischer Wichtung.

Die Truppenlager aus der Kaiserzeit, „Altes Lager“ und „Neues Lager“ nahe der Stadt, reichten bei weitem nicht mehr aus und so wurde Anfang der 30er Jahre ein drittes, das den Namen „Adolf Hitler“ erhielt, angelegt. Das mit eigenem Poststempel versehene Lager besaß ab 1937 ebenso einen eigenen Bahnanschluss, dessen Station zur Tarnung „Kieferngrund“ hieß.

Über den Haltepunkt „Kieferngrund“ kamen auch die benötigten Arbeitskräfte an. Zunächst Deutsche, später dann ausländische Zwangsarbeiter. Auch bekam Jüterbog in dieser Zeit mit seinem Militärkrankenhaus das seinerzeit modernste in ganz Deutschland. Zudem entstand in „Altes Lager“ 1933 der Fliegerhorst Neugörsdorf.

Zwar konnte Jüterbog bereits 1934 für sich reklamieren, der größte Truppenübungsplatz Deutschlands zu sein, dennoch erweiterte man erneut das Territorium. Die Dörfer Zinna, Mehlsdorf und Felgentreu fielen dem zum Opfer und mussten aufgegeben werden.

Allerdings wurde, entgegen den Behauptungen zu DDR-Zeiten, die dörfliche Bausubstanz nicht zerbombt. Daher konnten zwei der Dörfer nach dem Krieg wieder besiedelt werden. Nach Erweiterung umfasste der Truppenübungsplatz mehr als 11.000 Hektar.

Alle Daten nach Jüterbog

Der militärische Schwerpunkt aber lag bei den Fliegern. Ab 1933 errichtete man eine Fliegerschule. Die Uniform der Schüler wies sie ab 1935 als Angehörige der „Fliegertechnischen Schule“ aus. Später wechselte auch die „Höhere technische Schule“, Ausbildungsstätte für Ingenieure und Diplom-Ingenieure Luftfahrt, aus Berlin hierher.

In Jüterbog hatte das Deutsche „Luftzeugamt“ seinen Sitz, welches sämtliche Motor und Flugzeugnummern archivierte. „Altes Lager“ war für die deutsche Luftwaffe wie der Kern, von dem aus sich alles entwickelte, wusste Henrik Schulze zu berichten. Nebenan, in Treuenbrietzen, gab es die „Feste Horchstelle“, die sich, wie es ihr Name sagt, vornehmlich mit dem Abhören des Funkverkehrs der alliierten Botschaften in Berlin befasste.

Auch Sender der Widerstandsgruppen, so der „Roten Kapelle“, konnten lokalisiert werden. Nur die Texte zu entschlüsseln, gelang nicht. Neben Ausführungen zum in Treuenbrietzen stationierten Jagdgeschwader 300, dessen Aufgabe es war, die Reichshauptstadt Berlin zu schützen und dem Richthofen-Geschwader, welches zunächst mit HE 51 und später mit ME109 ausgestattet wurde, beinhaltet das Buch detaillierte Aussagen und Schilderungen zu den Luftkämpfen in der Region.

Henrik Schulze hatte viele alte Dias mitgebracht. Eines zeigte eine junge Frau in einem Jagdflugzeug. Wer das wohl sei, fragte der Referent. Doch niemand erkannte Beate Uhse, die als Hauptmann damals die höchstdekorierte fliegende Frau in Deutschland war. Ihre nicht ungefährliche Aufgabe war es, Flugzeuge zu überführen.

Unbewaffnet und damit ein einfaches Ziel für alliierte Flieger. Ein besonderes Erlebnis stand den Anwesenden aber noch bevor. Der als Jüterboger Heimatfilm avisierte Streifen, geschätzt aus den Jahren 1937/38, hieß „Die motorisierte Batterie“. Er dokumentierte den Ablauf eines Truppentages vom Appell auf dem winterlichen Jüterboger Marktplatz bis hin zur Übung einer Angriffsabwehr auf freiem Feld.

Der Tonfilm, als internes Schulungsmaterial gedreht und heute im Archiv der Bundeswehr zu finden, versetzte die Zuschauer direkt in die Geschehnisse vor 80 Jahren. In Kenntnis der weiteren geschichtlichen Entwicklungen drängte sich bei dem Anblick der vielen jungen Soldaten die Frage auf, wer von ihnen wohl den mörderischen Krieg überlebt hat?

Henrik Schulze kündigte an, in einem Jahr wieder nach Jessen kommen zu wollen und dann den vierten und letzten Band seiner Jammerbock-Serie vorzustellen, der sich mit der Zeit der Sowjetarmee in Jüterbog ab 1945 befassen wird. Detlef Polzenhagen, stellvertretender Vorsitzender vom einladenden Heimatverein „Glücksburger Heide“, nahm dieses Angebot gern an. (mz)