Gastronomie in der Krise Gastronomie in der Krise: Notstand vorm Tresen

Jessen - „Im Moment sind wir zu hundert Prozent abgedeckt“, meint Jessens „Schützenhaus“-Wirt Rüdiger Döbelt. Denkt er an die Zukunft, wird ihm allerdings schon manches Mal Bange. Denn es finden sich zunehmend weniger Leute bereit, einen Job in der Gastronomie anzunehmen. „Es kommt nichts nach“, ist Döbelts aus Erfahrung genährte Befürchtung. Und die eint den Inhaber des Jessener Traditionshauses mit vielen seiner Berufskollegen.
Genügend andere Arbeitsstellen
Egal, ob Lehrlinge oder Aushilfskräfte - hätte der Jessener nicht über die Jahre seinen Stamm an Mitarbeitern aufgebaut, sähe es nicht rosig aus im Service. Dabei dürfte es derzeit gar nicht so sehr am Geld liegen. Auch in der Gastronomie gilt der Mindestlohn. „Außerdem haben wir schon immer ganz gut gezahlt“, bekundet Rüdiger Döbelt. „Aber es gibt im Moment genug Arbeitsstellen ohne Schichten und Sonn- und Feiertagsarbeit. Die Auswahl ist größer geworden.“
Mittagstisch ist nicht mehr rentabel
Sein Berufskollege Günter Herrmann aus Lindwerder bestätigt: „Das ist ein Problem, das schon über Jahre besteht.“ Verstärkt wird es noch durch die Veränderungen im Verhalten, soll heißen in den Ansprüchen der Kundschaft. Aufgrund zahlreicher Imbissangebote im Umfeld könne „man mit Mittagstisch nicht mehr viel verdienen“, resümiert Herrmann. Das treffe vor allem auf die „Weintraube“ in Schweinitz zu. „Wir leben von Feiern, öffentlichen Veranstaltungen und dem Zeltverleih“, so der Mann aus Lindwerder, der mit Leib und Seele Gastronom ist. Auch Zimmer vermietet die Gastwirtsfamilie sowohl in Lindwerder als auch in Schweinitz.
„Sie finden Köche von Montag sieben Uhr bis Freitag 19.30 Uhr. Fürs Wochenende brauchen sie gar nicht zu fragen“, kommt Herrmann auf den Ausgang der Frage zurück. Er hat es daher schon aufgegeben, „übers Amt“ nach Aushilfskräften zu suchen. „Wenn sie dann nur arbeiten, damit die Angestellten verdienen...“, macht Herrmann auf die schwindende Motivation potenzieller Mitarbeiter aufmerksam.
Familie wird mit eingebunden
Er hat sich daher mit der Situation arrangiert. Und verzichtet fast vollständig auf zusätzliches Personal. Ehefrau, Sohn, Schwiegertochter und Tochter als Subunternehmer arbeiten mit. „Wir machen das gerne, wir sind nun mal Gastronomen, aber wir können eben nur das machen, was möglich ist.“ Die Schweinitzer „Weintraube“ muss da an dem einen oder anderen Wochenende - allen Kritiken zum Trotz - schon mal geschlossen bleiben, „weil ich die Leute bei einem Dorffest zum Beispiel brauche“. Den Preis dafür zahlen Herrmann und seine Familie mit viel Arbeit „auch über das Maß hinaus“, wie er sagt. Er kennt Situationen, an denen er früh 3 Uhr die Gaststätte oder den Transporter abschloss und vier, viereinhalb Stunden später schon wieder auf den Beinen war. Freilich hat auch er Aushilfskräfte, die er vor allem dann braucht, wenn eine größere Veranstaltung im Saal ist. „Aber die Zuverdiener haben alle auch einen eigenen Job“, verweist Günter Herrmann auf eine Eigenartigkeit. Um gleich „die andere Seite“ anzusprechen: „Wenn ich natürlich zwanzig Jahre vom Sozialstaat gelebt habe und nichts passiert, dann läuft da was schief.“ Gut findet der Lindwerderer allerdings die Fairness unter seinen Kollegen: „Wir werben uns nicht gegenseitig die Arbeitskräfte ab.“
Kinder und Freundinnen müssen mithelfen
„Wir sind nur zwei Leute“, bekennt Silvio Schulze vom „Landhotel Gasthaus Hagen“ in Stolzenhain. Gemeinsam mit seiner Frau, die Inhaberin des Gasthauses ist, versorgt er auch Veranstaltungen in und um Holzdorf. Und ist von daher kein Unbekannter in der Region. Auch sie arbeiten bei solchen Anlässen mit Aushilfskräften, haben dazu aber ebenfalls einen Stamm an Leuten. Nur von der Gaststätte im Ort könnten sie nicht leben. Deshalb sind die Familienfeiern und großen Veranstaltungen, die in der Regel Silvio Schulze managt - obwohl er hauptberuflich Bauunternehmer ist - die Lebensgrundlage. Und die 19 Hotelbetten. Aber wie Hermanns in Lindwerder, so setzen auch Schulzes auf die Familie. Zwei ihrer drei Söhne sind ebenfalls Gastronomen und kommen an den Wochenenden oft nach Hause, um zu helfen - und bringen ihre Freundinnen dazu gleich mit.
Sorge ums Reformationsfest
Die Leiterin der Jessener Regionalgruppe des Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband), Karin Peetz, Inhaberin des „Bergschlösschens“ an der B 187, kennt das Lied auch aus eigener Erfahrung, das bei den Treffen viele ihrer Kollegen singen. Sie weiß, „dieser Arbeitskräftemangel zieht sich durchs ganze Land Sachsen-Anhalt“. Sogar von Großprojekten, wie der BUGA in Havelberg (Sachsen-Anhalt) habe sie solche Signale gehört. „Wir gehören ja zum Kreisverband Wittenberg, und dort hat man Sorge, dass man das Reformationsjahr 2017 ausreichend absichern kann“, schildert Karin Peetz.
Auch sie wäre froh, wenn sie auf einige Aushilfskräfte mehr zählen könnte als derzeit. „Das Problem ist aber, dass wir sie nicht unter der Woche brauchen, wenn kaum etwas los ist, sondern am Wochenende. Wenn sie dann bei einer größeren Feier im Service arbeiten, dann müssten sie aber zumindest schon mal gekellnert haben.“ Daran hapere es wiederum oft. Auch die Wirtin vom „Bergschlösschen“ kennt inzwischen die Mentalität, dass eventuelle Nachfragen sich auf die Wochentage beziehen. Am Wochenende, wenn andere feiern, hält sich die Motivation zum Arbeiten bei einigen sehr in Grenzen. „Ja, ich mache mir Sorgen um die Zukunft. Wir wollen das ja noch eine ganze Weile machen. Man muss kämpfen, dass es rund geht. Aber man muss eben optimistisch bleiben. Sonst hat das alles keinen Zweck.“ (mz)