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Forst Zinna bei Jüterbog Forst Zinna bei Jüterbog: Erinnerung an schweres Eisenbahnunglück

Von H.-Dieter Kunze 07.01.2014, 10:55
Bei einem Zugunglück am 19. Januar 1988 starben bei Forst Zinna (Brandenburg) sechs Reisende eines D-Zuges. Ein sowjetischer Panzer T 64 war auf dem Gleis stehen geblieben.
Bei einem Zugunglück am 19. Januar 1988 starben bei Forst Zinna (Brandenburg) sechs Reisende eines D-Zuges. Ein sowjetischer Panzer T 64 war auf dem Gleis stehen geblieben. PRIVAT Lizenz

Jüterbog/MZ - Henrik Schulze, ehrenamtlicher Ortschronist von Jüterbog, hat erneut einen Teil der Militärgeschichte der Stadt aufgearbeitet. „Die Sowjetgarnison Jüterbog“ lautet das Thema. Er offeriert Fakten, Zahlen, Fotos und Geschichten aus den 1980er Jahren, als die Kreisstadt im Bezirk Potsdam um die 15.000 Einwohner hatte. Die Zahl der hier stationierten Soldaten war wesentlich höher. 40.000 sollen es in Spitzenzeiten, in der damaligen DDR insgesamt 500.000, gewesen sein. Ihnen gegenüber standen auf Seiten der Westalliierten 100.000 Amerikaner, Briten und Franzosen. Offiziell gezählt hat sie niemand. Alles war geheim. Oft wussten sogar hochrangige Offiziere nicht, wer unmittelbar nebenan „auf Friedenswacht“ stand. Erst nach der Wende wurde versucht, den „gordischen Knoten“ zu entwirren.

Für Henrik Schulze steht heute fest: „Jüterbog war die größte sowjetische Garnison in Deutschland.“ Dafür prädestiniert durch die mehr als 130-jährige militärische Geschichte als Garnisonsstadt, die Infrastruktur sowie die militärstrategisch ideale Lage zu West-Berlin und der BRD.

Militärobjekte besetzt

Die Roten Armee besetzte nach dem Zweiten Weltkrieg ganze Kasernenkomplexe sowie Übungs- und Flugplätze. Vor allem in Altes und Neues Lager, Jüterbog selbst und im Umfeld. Sie stammten noch aus Kaisers und Wehrmachtszeiten. In die DDR wurden nur die besten Rekruten, Soldaten und Offiziere abkommandiert. „Es war eine Auszeichnung und Ehre, in der DDR dem sowjetischen Vaterland und dem Frieden zu dienen“, sagt Henrik Schulze.

Sie waren in fünf so genannte Gardearmeen mit je 100 000 Soldaten der verschiedensten Waffengattungen integriert. Für die einfachen Soldaten war es auch in der „Gardearmee“ ein hartes, entbehrungsreiches Dasein. Wenig zu essen, harter Drill und ständige Schikanen und Demütigungen der Vorgesetzten. Etliche hielten das körperlich und emotional nicht aus. Sie begingen Fahnenflucht und vagabundierten durchs Land. Meist erwartete sie eine langjährige Haft unter noch unmenschlicheren Bedingungen oder gar die Todesstrafe. Eine unbekannte Anzahl von ihnen wählte den Freitod.

Untergebracht waren sie in Massenquartieren. Alle persönlichen Gegenstände und die Uniformstücke mussten auf einem Hocker vor der Schlafpritsche Platz finden. Schulze hat Fotos darüber und vergleicht: „Egal in welcher Armee, von der Kaiserlichen über die Wehrmacht bis hin zu Nationaler Volksarmee und Bundeswehr, deutsche Soldaten hatten und haben wenigstens einen abschließbaren Spind.“

Die sowjetischen Offiziere lebten in relativem Saus und Braus, meist mit Familie. Ein Stabsoffizier bekam bis zu 1 500 Ostmark im Monat. Dazu kostenlos eine Wohnung sowie freies Essen für die gesamte Familie. Soldaten dagegen wurden mit 15 Mark der DDR im Monat abgespeist. „Die Offiziere konnten ihr Geld gar nicht ausgeben. Ich kannte mal einen, der wollte einen Monatssold im Restaurant vom Berliner Fernsehturm einfach versaufen. Er hat es nicht geschafft“, meint Schulze ironisch.

Schieß- und Fluglärm

Die „deutsche Minderheit“ in Jüterbog und Umgebung betrachtete die Anwesenheit „der Freunde“ mit gemischten Gefühlen. Schießlärm aus Panzer- und Kanonenrohren gehörte zur ständigen Geräuschkulisse. Noch nervender war der Fluglärm. Jüterbog lag direkt unter der Ein- und Ausflugschneise. An mindestens drei Tagen in der Woche donnerten Düsenjets, zuletzt waren es MiG 23, über die Stadt. Hinzu kamen schwere Kampfhubschrauber Mi 24. Das Geschwader war aus taktischen Gründen von Weimar-Nohra nach Jüterbog verlegt worden. Das ohnehin meist kontingentierte Warenangebot in den HO- und Konsum-Filialen kauften zu großen Teilen Armeeangehörige weg. „Die Offiziersfrauen wussten genau, dass es jeden Donnerstag in Jüterbog Kinderbekleidung gab. Sie standen als Erste in der Schlange“, hat Schulze beobachtet. Die von den DDR-Offiziellen gepriesene „Deutsch-sowjetische Freundschaft“ war da verständlicherweise außen vor.

Auch Unfälle auf den Straßen waren traurige Realität. Der Ortschronist recherchierte, dass es allein im Kreis Luckenwalde in den Jahren 1982 bis 1989 224 Verkehrsunfälle gab, an denen Fahrzeuge der Sowjetarmee beteiligt waren. 44 Menschen wurden verletzt, zehn getötet. Die Dunkelziffer könne noch höher gelegen haben.

Es gab zudem spektakuläre und tragische Eisenbahnunglücke. Das schwerste mit mehr als 100 Toten ereignete sich 1963 bei Trebbin. Bei einem Panzer auf einem Transportzug hatte sich der Turm verdreht. Das Kanonenrohr schlitzte Waggons eines auf dem Nachbargleis fahrenden D-Zuges auf. Das Unglück wurde streng geheim gehalten. Schulze weiß aus sicherer Quelle, dass der Einsatzleiter aus Trebbin danach zum Rapport einbestellt wurde. Ein Genosse forderte die Herausgabe des Dienstbuches. Die Seiten über das Unglück riss er heraus.

Das letzte schwere Eisenbahnunglück war am 19. Januar 1988 bei Forst Zinna. Der Fahrer eines russischen Panzers T 64 hatte bei einer Übungsfahrt auf dem Gleis den Motor „abgewürgt“. Die Besatzung flüchtete, das schwere Kriegsgerät wurde von einem D-Zug erfasst. Sechs Reisende kamen ums Leben. DDR-Behörden nahmen sofort die Ermittlungen auf. Zum ersten Mal, sonst oblag das immer den sowjetischen Militärbehörden.

Panzerfahrer ausgeliefert

Der Unfall wurde zu Propagandazwecken gegen die Sowjets ausgeschlachtet. Alle Medien, auch westliche, durften frei berichten. Der Panzer wurde beschlagnahmt und nach Finsterwalde zur kriminaltechnischen Untersuchung durch DDR-Spezialisten gebracht, die zwei Soldaten später an die sowjetische Armee ausgeliefert. „Die Freunde wurden hier regelrecht vorgeführt. Sie reagierten schockiert und fassungslos. So etwas kannten sie von ihren deutschen Genossen nicht“, schätzt Schulze den Vorfall im Nachhinein ein. Was mit den zwei Panzerfahrern geschah, ist unklar. Lapidar hieß es von sowjetischer Seite: „Sie haben ihre gerechte Strafe erhalten.“

Ein Geschwader Kampfhubschrauber Mi 24 war von Weimar-Nohra auf den Flugplatz Altes Lager in Niedergörsdorf verlegt worden. Die Maschine im Bild war in Brandenburg/Havel stationiert. Sie steht im Fliegerhorst Holzdorf als flugunfähiges technisches Denkmal.
Ein Geschwader Kampfhubschrauber Mi 24 war von Weimar-Nohra auf den Flugplatz Altes Lager in Niedergörsdorf verlegt worden. Die Maschine im Bild war in Brandenburg/Havel stationiert. Sie steht im Fliegerhorst Holzdorf als flugunfähiges technisches Denkmal.
H.-Dieter Kunze Lizenz