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Durch Europa und bis ans Ende der Welt

Von unserem Reakteur Klaus Adam 15.04.2005, 15:18

Annaburg/MZ. - Nun, da zu Hause wieder etwas Ruhe eingekehrt ist, er auch die ersten Behördengänge hinter sich hat, zur Arbeitsagentur zum Beispiel, fand Tobias Matzke Zeit, auch der MZ einiges von seiner Wanderschaft zu berichten. "Es war ein Sprung ins kalte Wasser", erzählt er. Im Sommer 2001 ist er los nach der großen Abschiedsfete im Weinkeller seiner Heimatstadt. Gemeinsam mit Bernd Kostjutschenko, dem erfahreneren Wandergesellen aus Göttingen, der ihn "auf den Weg brachte" und ihn ein Vierteljahr lang begleitete. Schon die erste Nacht verbrachten beide unter freiem Himmel. Das sollte nicht die letzte sein. Auch wenn's nicht die Regel war. Denn ansonsten kamen die Wandergesellen natürlich bei den Meistern oder anderswo im Ort unter. In größeren Städten gibt es so genannte Buden. Das sind Herbergen, die die Schächte unterhalten. Tobias Matzke gehört dem "Fremden Freiheitsschacht" an. Eine Gesellenvereinigung, die 1910 in Bern gegründet wurde.

Warum geht heutzutage jemand diesen Weg? "Ich wollte dazulernen, flexibler werden", hat der junge Mann mit den wachen braunen Augen sofort eine Antwort parat. "Überall wird anders gearbeitet, mit anderen Maschinen, jeder Betrieb hat seinen eigenen Stil", schiebt Tobias seine Erfahrungen dazu gleich hinterher.

Vieles, was er erlebt hat, wird lange in seinem Gedächtnis bleiben. Etwa, als ihm in Hermannstadt / Siebenbürgen (Rumänien) gleich der ganze Schlüsselbund der evangelischen Stadtkirche in die Hand gedrückt wurde. "Schau, was zu reparieren ist", hat man ihm nur gesagt. Er hat aufgeschrieben, was er an Material braucht, und das wurde dann besorgt.

Oft war Tobias Matzke allein unterwegs. Dann wieder mit einem oder mehreren Gefährten. Immer bot ihm der "Freiheitsschacht", seine Gesellenvereinigung, Sicherheit. War er "Familie" für die Zeit unterwegs. Treffen mit den "Freiheitsbrüdern" waren Informationsbörsen für Arbeitsstellen und Unterkunft. Und auch zu Hause wird die Tradition hoch gehalten.

Zu den überlieferten Riten zählt, dass Wandergesellen in einem neuen Ort vom Bürgermeister das Ortssiegel in ihr Wanderbuch und einen Obolus für Unterkunft und Verpflegung in die Hand gedrückt bekommen. Doch gerade da machte Tobias mit jenen Freunden, die ihn auf der Tour Richtung Heimat begleiteten, in der eigenen Kreisstadt Wittenberg eine schlechte Erfahrung. Die acht Mann, die da beim Bürgermeister nach alter Tradition vorsprechen wollten, wurden von einem Mitarbeiter recht brüsk abgewiesen. Der Bürgermeister lasse ausrichten, dass er ihnen nicht die Party finanzieren wolle. Und so gab es statt der üblichen fünf Euro für jeden nur die Hälfte, erzählte Tobias. Das sei das erste Mal in der ganzen Zeit gewesen, dass er so eine abwertende Reaktion erlebte.