Comedy-Show Comedy-Show: Liebes-lustig und provokant

Annaburg/MZ - Die Comedy-Show von Tatjana Meissner hat viele Damen und Herren ins Annaburger Porzellancafé angelockt. Das ist so ziemlich die beste Voraussetzung, um über ein Thema zu plaudern, welches allgemein interessiert: Sex. Offenbar trifft das auf die lockere Gesellschaft am Polizeitisch ebenso zu wie auf die gesellige Runde der Jessener DRK-Tagespflege. Nur heißt das Programm der extrovertiert-anzüglichen wie spaßbegabten Kabarettistin Tatjana Meissner diesmal: „Alles außer Sex“. Gemeint sind damit alle Befindlichkeiten „zwischen Caipirinha und Franzbranntwein“. Oha! Die Besucher sehen zunächst einmal Rot. In ebendiese knallige Farbe gekleidet kommt die Hauptakteurin beschwingt auf die Bühne, mustert ihr Publikum und fragt: „Sehen Sie auch, was ich sehe? – Was denkt Ihr über mich – und was denke ich über Euch?“ Weil (noch) niemand mutig genug für eine Antwort ist, schweift ihr Blick umher – und bleibt an einem graumelierten Herrn hängen, der ihrem Blick standhält. Bernd Rehain ist es, dessen Frau Gudrun mit allen Gästen schmunzelnd die freimütigen Zwiegespräche ihres Gatten mit der Moderatorin verfolgt.
Großer Kreis von Leidensgefährtinnen
Die Künstlerin findet noch weitere „Mitwirkende“ aus dem großen Kreis von Leidensgefährtinnen, die mit „Midlifecrisis, Wechseljahre, Menopause, Hitzewellen, einschlafende Libido“ hadern. Karin zum Beispiel, am Tisch in der Mitte. Etwas weiter entfernt sitzt jemand, der von solchen Zipperleins nichts ahnt: „Mike. 22 Jahre“, stellt sich der junge Mann vor, worauf sich die Meissnerin mit einer betonten Geste an die Brust fasst und ruft: „Miky, da schießt mir ja wieder die Muttermilch ein.“ Lachsalven des Publikums hallen durch den Raum.
Doch die Herren der Schöpfung sind noch nicht aus der Schusslinie: „Bei Männern werden die Wechseljahre zu Verwechseljahren“, ruft sie, was einen brummigen Protest aus deren Kehlen auslöst, während die Lachmuskeln der Damen einen Gymnastik-Hochleistungskurs beginnen. Wie wurde Tatjana Meissner so liebes-lustig und augenzwinkernd-frustig, schlagfertig und provokant? Des Rätsels Lösung verrät sie und erzählt von einer schwierigen Jugend als Lehrerkind.
Mutti wird vorgestellt
Und sie stellt die streng blickende Mama sogar dem Publikum vor. Die blickt unter dem Frisuren-Look der 70er und mit einer riesigen Brille auf der Nase aus einem Fotorahmen heraus, um so ihrer Tochter stets und ständig zur Seite zu stehen. Dabei will Tatjana-Kind, „alles werden, nur nicht wie Mama“. Das ist aber gar nicht so einfach. Die Zeichen der Zeit wirken unaufhaltsam: „Zwischen 30 und 50 arbeitet das Gehirn zwar auf Hochtouren, doch der Körper zerfällt. Außerdem kann ich ganz schlecht ab-, aber sehr gut zunehmen“, klagt sie. Doch diese Makel setzen ihr noch nicht allzu sehr zu, denn der Body, den sie „tagelang cremt und glättet“, in Stützstrumpfhosen und ebensolche Oberteile zwängt, hat in seinen tänzerischen Qualitäten augenscheinlich nichts von seiner Mobilität aus der Showtanz-Karrierezeit eingebüßt. Weitaus mühseliger werden mit den Jahren die Vorbereitungen zum Liebesspiel, gesteht sie. Sogar den Wäscheständer räumt sie aus dem Schlafzimmer, um die „Bühne“ zu bereiten, wenn der Held ihrer Träume naht. „Dann biste aber einfach nicht bei der Sache, weil du an die Kerzen denkst, die hoffentlich keine Wachsflecken auf die Tischdecke kleckern!“
Um sich wieder zu sammeln, will das „Show-Girl der 80er“ vom Publikum wissen, wer schon einmal einen Porno angeschaut hat. Keine Wortmeldungen. Sie kommentiert: „Niemand. Immerhin habe ich gelesen, dass Eunuchen fünf Jahre länger leben als andere Männer.“ Mit dieser Weisheit geht es in die Pause. Am Tisch von Familie Pfennig aus Jessen lächeln sich Michael und seine Frau Ragna verliebt zu. Der Ehemann, der eben erst seinen 50. Geburtstag gefeiert hat, lässt wissen, dass er sich gar nicht angesprochen fühlt. „Ich pfeife meiner Frau auch heute noch hinterher“, verrät er und zwinkert ihr zu.
Viele Besucher nutzen die show-freie Zeit, um sich ein echtes „Meissner-Stück“ für weitere Abende – oder den Lach-Quicky zwischendurch zu sichern. Die 76-jährige Gisela Graffenberger aus Annaburg entscheidet sich für das Büchlein mit dem Titel der Show „Alles außer Sex“. Sie lässt es von der Autorin signieren und verkündet schmunzelnd: „Das ist genau richtig als Geschenk für meinen Bruder zum 70. Geburtstag. Wer lacht, braucht eine Pille weniger.“
Statt einem nun zwei Stöcke
Nach diesem Motto geht es herzerfrischend weiter, mit „unten ohne“. Die Beine kokett von schwarzen Netzstrumpfhosen umhüllt, tanzt sie wie im Pariser Nachtclub-Milieu. Vielleicht doch etwas zu heftig? Denn plötzlich zuckt sie, hat „Rücken“ – und wettert über den Fitness-Wahn der Generation über 40. Früher sei man mit einem Stock unterwegs gewesen, heute mit zweien, was dann Nordic-Walking heißt. Bissig warnt sie: „Wenn alte Menschen turnen, kommen sie schneller in die Urnen.“ Niemand bekennt sich dazu. Der Show-Abend scheint eine echte Ossi-Party zu sein. Meissner überprüft das mit einem Lied: „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht …“, und tatsächlich wird an allen Tischen kräftig mitgesungen. „So sind wir Ossi-Kinder eben. Wir mussten nicht schon als Baby zum Psychiater. Stattdessen wurden wir mit Pawel Kortschagins Stahl gehärtet. Das haben wir alles überlebt – und wir werden auch das Alter überleben.“