Blick in die Historie Blick in die Historie: Tag der offenen Tür im Betreuungsforstamt Annaburg

Annaburg/MZ - „Um Himmels Willen, nie wieder will ich harzen müssen!“ Revierförster Harald Hilse aus Seyda schlägt Samstag beim Tag der offenen Tür im Betreuungsforstamt Annaburg die Hände über dem Kopf zusammen. Er weiß, wovon er spricht. Drei Jahre war er zu DDR-Zeiten beim Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb Jessen in Annaburg bei der Harzgewinnung in heimischen Nadelwäldern im Einsatz. Es war eine verdammte Knochenarbeit, um den klebrigen Saft, vornehmlich aus Kiefern, zum zähen Fließen zu bringen. „Wenn man das einen Tag lang gemacht hat, brauchte man für den Rest der Woche nichts mehr.“
Zunächst wurde die so genannte Lachte mit einem Spezial-Hakenmesser, dem Bügelschaber, in die Stämme geritzt. Ältere Leute erinnern sich bestimmt noch an das typische Fischgrätenmuster an den Bäumen. Zwei Mal im Winkel von 35 Grad wurde sie nach Abschaben der Borke bis hin zum Stammholz gezogen. In der Mitte befand sich die senkrecht verlaufende Tropfrinne. Am Ende befestigte man einen Halter. Darin befand sich ein Topf, in dem das zähflüssige Harz aufgefangen wurde.
Volle Fässer für die Industrie
Zwei Forstarbeitern sammelten die vollen Töpfe ein. In das Tragegestell passten acht davon. Sie wurden zum Sammelfass gebracht, über einem Sieb umgestülpt und liefen leer. Je nach Konsistenz des Harzes und der Umgebungstemperatur konnte das bis zu 14 Tage dauern. Die gefüllten Fässer wurden abgefahren und der Rohstoff an die Industrie geliefert.
„Diese Irrsinnsarbeit in den Wäldern muss leichter werden“, forderten die Forstarbeiter und begannen in den 1960er Jahren, selbst zu tüfteln. In der Firma Deininger in Übigau bei Falkenberg fanden sie einen Partner, der ihre Ideen umsetzte. So entstanden die Harzschöpfwagen. Sie waren Einzelanfertigungen. In Serie ging das Gerät nie, aber mit jedem Exemplar stieg der Komfort. Das vorgestellte Gerät hatte die Typenbezeichnung „Annaburg IV“. Ebenso wie die drei Vorgängermodelle war es bis 1989/1990 im Einsatz. Bis die Harzgewinnung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gänzlich eingestellt wurde. Fortan war preiswertes Naturharz auf dem Weltmarkt erhältlich oder es wurden synthetische Ersatzstoffe eingesetzt.
Der Harzschöpfwagen ist ein dreirädriges, lenkbares Gefährt. Der Fahrer sitzt auf einer Schale ähnlich einem alten Motorradsattel. Rechts vor ihm steht ein großes Fass, darüber befindet sich die Einlaufschale mit dem Rührwerk. Die vollen Harztöpfe werden darübergestülpt, über eine Rutschkupplung beginnen sich die Rührflügel zu drehen und das Harz fließt über ein Sieb ins Fass. Angetrieben werden sowohl das Fahr- als auch das Rührwerk über einen Zweitaktmotor, wie er im Kleinroller Schwalbe Verwendung fand, sowie ein angeschlossenen Verteilergetriebe. Es treibt sowohl die Räder als auch das Rührwerk.
Der Zahn der Zeit hatte natürlich kräftig an der „Annaburg IV“ genagt. Thomas Hanke von der Firma Motorgeräte und Schlüsseldienst mit Sitz im Heidestädtchen reizte dieses Gerät. Mit viel Geschick und handwerklichem Können machte er es wieder einsatzbereit. Die Besucher staunten nicht schlecht, als er damit vorfuhr und an zwei Baumstämmen anhielt. An ihnen demonstrierte Harald Hilse anschaulich, wie eine Lachte mit Tropfrinne und den seitlichen Rissen geritzt und dann der Topf angehängt wird. Harz floss nur spärlich, schließlich handelte es sich um zwei abgesägte Baumstümpfe.
„Erntebeginn“ im Winter
Das Harzen begann früher gewöhnlich in den Wintermonaten. Etwa im Wochentakt wurde rechts und links der Rinne ein Riss mehr angelegt. Im Oktober waren es dann 25 bis 30. Bis etwa Mitte November war „Erntezeit“. Die Forstarbeitern bezeichneten das Leeren der Töpfe auch als Schöpfen.
„Mit dem Einsatz des Harzschöpfwagens wurde die Arbeit vor allem bei der Ernte leichter. Aber die Schwerstarbeit beim Ritzen nahm uns keiner ab“, erinnert sich Harald Hilse.
