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Schatz aus Stahl Schatz aus Stahl: Warum Prägestöcke aus der DDR wieder gerettet werden müssen

Von Julius Lukas 13.01.2020, 09:00
Die 3.480 Prägestöcke, die er einst aus dem Walzwerk Hettstedt rettete, hat Willi Horka in Kisten sortiert und dabei systematisiert.
Die 3.480 Prägestöcke, die er einst aus dem Walzwerk Hettstedt rettete, hat Willi Horka in Kisten sortiert und dabei systematisiert. Andreas Stedtler

Der runde Zylinder glänzt im Licht, das durch die Fenster in die Garage fällt. Willi Horka dreht das Metallstück in seiner Hand mehrmals in alle Richtungen. Dann fährt er mit einem Finger über die Vertiefungen in dem gehärteten Stahl. „Das ist ein Prägestock, mit dem in der DDR Medaillen hergestellt wurden“, sagt Horka. Das Motiv in seiner Hand zeigt die Burg Querfurt - den Pariser Turm, den dicken Heinrich und die Kirche St. Lamperti. „Dieses Bild so filigran in das Metall zu ziselieren - das ist schon meisterlich“, meint Horka.

Prägestöcke: Stahl-Stempel als Kulturschatz der DDR

Für den heute 60-Jährigen ist der Zylinder in seiner Hand ein Kulturschatz der DDR. Ebenso wie die anderen gut 3.400 Prägestöcke, die Horka in seiner Garage lagert. Die Stahl-Stempel wurden bis 1990 im Walzwerk in Hettstedt (Kreis Mansfeld-Südharz) hergestellt, um damit Medaillen für die verschiedensten Anlässe zu pressen. „Die gab es zu Stadtjubiläen ebenso wie bei großen Sportveranstaltungen, um Betriebsgeburtstage zu feiern oder verdiente Mitarbeiter zu ehren.“ Eine einmalige Sammlung, die viel über das Leben in der DDR erzählt. Horka hat die Prägestöcke einst vor der Deponie gerettet. Nun kämpft er erneut dafür, dass sie der Nachwelt erhalten bleiben.

Rettung der Prägestöcke im Jahr 1990: „Das reinste Chaos“

Willi Horka gehört im Mansfelder Land eine Werbeagentur. Der 60-Jährige ist ein umtriebiger Typ. Das war er auch 1990 schon. „Damals, im April, hörte ich von einem Freund aus dem Sportverein, dass einige Gebäude des Walzwerks entkernt und danach abgerissen werden sollen.“ Darunter sei auch die Souvenirabteilung gewesen. Horka fielen sofort die Prägestöcke ein. „Ich dachte: Die musst du doch retten“, erinnert er sich. Allerdings stand der Abriss der Produktionsstätten kurz bevor. „Mein Freund sagte mir, dass ich zwei Tage habe.“ Horka gab Gas.

Mit seinem alten Transporter preschte er zum Walzwerk. „Dort herrschte das reinste Chaos.“ Die Regale reichten bis unter die Decke und waren voll mit Kartons und Kisten, in die die Prägestöcke wild hineingeworfen waren. Horka nahm jeden Stahlstempel mit, den er finden konnte. „Sonst wären die ja in die Tonne geflogen.“

Sein kleiner Transporter ächzte unter dem enormen Gewicht der Metallstücke. „Ich musste drei Mal fahren, um alles abzuholen.“ Nachdem die Rettungsaktion geglückt war, machte der Sammler erst einmal Inventur: 3.480 Prägestöcke hatte er aus dem Walzwerk geschafft. Gewicht: über drei Tonnen.

Von der „Messe der Meister von Morgen“ bis zu Stadtpanoramen

Schaut man die Stempel heute an, so geben sie noch immer einen Eindruck davon, was in der DDR wichtig war. Sie werben für die „Messe der Meister von Morgen“ oder zeigen Stadtpanoramen: Berlin mit Fernsehturm und Palast der Republik, Neubrandenburg protzt mit eckigen Funktionsbauten, während Stendal den Blick auf den Hafen und die zwei Türme des Doms lenkt.

Medaillen gab es auch für die CDU der DDR, die FDJ Stadtorganisation Halle und den VEB Mansfeld-Kombinat „Wilhelm Pieck“. Das Interhotel Gera grüßt mit einem „Prosit 1990“, und beim Stempel für das Schweriner Boxturnier wurde ein Boxhandschuh tief in das Metall gepresst. Viele der Medaillen widmen sich auch Partei und Militär: Wehrbezirkskommando der NVA Halle, Panzerregiment „Artur Becker“ oder zig Prägungen zu Parteiveranstaltungen. „Die Medaillen sehe ich aber trotzdem nicht als Huldigung der DDR“, meint Willi Horka. Sie seien vielmehr Kunstwerke ihrer Zeit.

Prägestöcke aus der DDR: „Eine filigrane Meisterleistung“

Einen der fünf Graveure, die in Hettstedt die Stahlstempel herstellten, lernte Horka sogar noch kennen. Er habe ihm erzählt, wie die Herstellung lief. „Wer so eine Medaille wollte, konnte sich in Hettstedt melden, da wurde dann auch das Motiv besprochen.“ Anschließend habe sich der Graveur einen Prägestock-Rohling genommen. Die bestanden aus gehärtetem Stahl. „Erst wurde mit Bleistift vorgezeichnet, dann meißelten die Mitarbeiter mit einer Vergrößerungsbrille auf dem Kopf die feinen Linien in das Metall.“ Alles sei reine Handarbeit gewesen. „Eine filigrane Meisterleistung“, sagt Horka.

Für jede Medaille gab es zwei Prägestöcke: Einen für die Vorder- und einen für die Rückseite. „Die Medaillen wurden damals aus Neusilber, das ist eine Kupfer-Nickel-Zink-Legierung, hergestellt.“ Wenn dafür die 250-Tonnen-Presse angeworfen wurde, habe man das noch in den Nachbarorten gehört. „Da vibrierte der Boden und es machte: Wumm, wumm, wumm.“

Kulturschatz der Prägestöcke soll sichtbarer werden

Es sind auch solche Erinnerungen an die alte Industrieproduktion, die für Willi Horka zu seiner Prägestock-Sammlung gehören. Nachdem er sie 1990 gerettet hatte, restaurierte, sortierte und systematisierte er die Stempel, die einen geschätzten Materialwert von je 100 Euro haben. „Ich habe die Oberflächen aufgearbeitet und sie nach Themen geordnet“, erzählt der 60-Jährige. Das habe viel Zeit in Anspruch genommen. „Doch ich habe mich gerne um die Sammlung gekümmert.“

Nun jedoch, sagt Horka, wolle er die Prägestöcke abgeben. „Es bringt ja nichts, wenn sie noch 20 Jahre in meiner Garage liegen“, sagt er. Ihm schwebe vor, sie an jemanden weiterzureichen, der sie mehr in die Öffentlichkeit bringen kann. „Ich finde, 30 Jahre nach dem Mauerfall hat es solch ein Kulturschatz einfach verdient, wieder sichtbarer zu werden“, sagt Horka. (mz)

Wer einen Vorschlag hat, wie die 3.480 Prägestöcke besser präsentiert werden können, kann sich bei Willi Horka melden: [email protected].

Die Prägestöcke wurden in eine Presse eingespannt.
Die Prägestöcke wurden in eine Presse eingespannt.
Andreas Stedtler
Unter Druck entstand aus einem Metall-Rohling eine  Medaille.
Unter Druck entstand aus einem Metall-Rohling eine  Medaille.
Andreas Stedtler