Lutherkirche in Hettstedt Lutherkirche in Hettstedt : Der Ort der Aufmüpfigen feiert sein 80-jähriges Bestehen

Hettstedt - Die Lutherkirche in Burgörner-Neudorf in Hettstedt ist etwas Besonderes. Sie ist nicht nur der jüngste evangelische Kirchenbau im Mansfelder Land und auch das einzige Gotteshaus in der Region, das den Namen des Reformators aus Eisleben trägt. Der Treffpunkt der Kirchgemeinde Burgörner auf „Krauses Hügel“ war in seiner nunmehr 80-jährigen Geschichte auch ein Ort der Aufmüpfigen gegen die Obrigkeit.
Montagsdemos begannen 1989 an Lutherkirche
Immerhin begannen hier Ende August 1989 die Montagsdemos in der damaligen Kreisstadt Hettstedt. Siegfried Rosenstock kann sich noch gut daran erinnern. Kein Wunder, er war in jenen Tagen der Vorsitzende der Kirchengemeinde und Mitorganisator der Protestmärsche gegen die SED-Herrschaft.
„Wir hatten ganz schön Dampf“, räumt der heute 75-jährige frühere Besitzer einer Wäscherei in der Bahnhofsstraße ein. Man sei zwar unter dem Motto „Keine Gewalt!“ aufgebrochen. „Doch keiner wusste doch, wie die Machthaber reagieren würden“, so Rosenstock.
Alles lief ab wie in der Nikolaikirche in Leipzig, wo die friedliche Revolution in der DDR ihren Anfang nahm. Zuerst trafen sich die Menschen zum Gottesdienst. Danach wurden Kerzen angezündet und mehrere Hundert Leute zogen friedlich zum Marktplatz. Siebenmal ist der Demonstrationszug losgezogen. Nach dem letzten Mal sei die Berliner Mauer „wie die Mauer durch den Posaunen vor Jericho eingestürzt“, so Rosenstock.
An jenem Donnerstag, dem 9. November , haben die Kirchenmitglieder gerade über den rasanten Verfall der DDR gesprochen. Als er am Abend seine Mutter abgeholt habe, vernahmen beide im Autoradio die legendären Worte des SED-Funktionärs zum „ab sofort“ ungehinderten Reiseverkehr in die BRD.
Kirchengemeinde sorgt für Demo ohne Ausschreitungen
Am nächsten Freitagmorgen seien die Straßen in Hettstedt leer gewesen, so Rosenstock. So wie die Lutherkirche, die sonst zu den Montagsdemos voll war. Dass der Protest in der traditionsreichen Bergbau- und Hüttenstadt ohne Ausschreitungen verlaufen ist, sei vor allem dem Wirken der Kirchengemeinde zu verdanken, meint Rosenstock.
Er schließt dabei allerdings auch die Verantwortlichen der Stadt und der damaligen Parteiführung ein. Sie seien keine „Scharfmacher“ gewesen, so der evangelische Christ. Er plädiert auch dafür, dass unter die Stasi-Aufarbeitung endlich ein Schlussstrich gemacht wird. „Irgendwann muss mal Ruhe sein“, findet er und weist dabei auf die Bergpredigt, in der es um Vergebung gehe.
Rosenstock hat auch schon zu DDR-Zeiten „oft quer gegen den Strich gebürstet“, wie er es nennt. Er ist nie aus der Kirche ausgetreten und hat sich auch gewehrt, als die Wäscherei an „einen schlimmen Parteibonzen“ gehen sollte. Mit Erfolg. Die Familie bekam die Wäscherei zurück. Vor zehn Jahren hat er sie aufgegeben.
Historische Waschmaschinen lagern in den Hofräumen der Lutherkirche
In den Hofräumen stehen bis heute Waschmaschinen verschiedener Bauart und Couleur. Siegfried Rosenstock ging es dabei nie ums liebe Geld. Er verabscheut den heutigen „Tanz um das goldene Kalb“, wie er in Anspielung auf eine Geschichte aus dem Alten Testament sagt.
Mit seinem Widerspruch knüpft der Hettstedter an den Geist in der Lutherkirche an, in der in den 1933er Jahren sogar der Theologe und Widerstandkämpfer Martin Niemöller gepredigt hat. Der U-Boot-Fahrer aus dem Ersten Weltkrieg sympathisierte anfangs mit dem Nationalsozialismus, entwickelt sich aber später zum Gegner des Hitler-Regimes und zum führenden Vertreter der „Bekennenden Kirche“.
Er landete schließlich 1937 im KZ Sachsenhausen und wurde bei einem Häftlingstransport von US-Truppen befreit. Die rund 100 Gemeindeglieder hoffen, dass auch Superintendent Siegfried Berger einen großen Zulauf hat, wenn er am Sonntag, den 4. September, um 10 Uhr in der Lutherkirche die Predigt zur Jubiläumsfeier hält. (mz)

