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Die Bären von Walbeck Die Bären von Walbeck: Suche nach Unterkunft für Tiere wird zur Belastungsprobe

Von Wolfram Bahn 20.11.2016, 09:45
Hinter Gittern: Die Bären waren in Walbeck nicht artgerecht untergebracht. Das wurde zum Problem.
Hinter Gittern: Die Bären waren in Walbeck nicht artgerecht untergebracht. Das wurde zum Problem. Sommer/MDR

Walbeck - Wenn Hans-Peter Sommer an die Braunbären-Aktion von Walbeck denkt, beschleichen den Landrat im Ruhestand gemischte Gefühle. Die Bärin und zwei Jungtiere waren Anfang der 1990er Jahre die Attraktion des kleinen Tierparks, der  damals noch zur Abteilung Kultur des Landkreises Hettstedt gehörte. Nach der Kreisgebietsreform im Jahre 1994  bemängelten die übergeordneten Behörden die nicht artgerechte Haltung der Tiere. Das Veterinäramt hatte daraufhin nach einem Vor-Ort-Termin die unverzügliche Räumung der Bärenanlage verfügt. Von da an geriet Sommer in einen Strudel der Ereignisse, die ihn an den Rand seiner vor allem nervlichen Belastbarkeit brachten.

Landrat Sommer gerät wegen Bären-Aktion deutschlandweit in die Kritik

„Bei keinem anderem Thema meiner Amtszeit war ich emotional so aufgewühlt wie bei der Suche nach einer Lösung für diese Braunbären“, räumt Sommer, der sonst eher Ruhe ausstrahlt, ein. Er habe damals „ganze schlimme Post“ aus allen Teilen Deutschlands erhalten, was einem heutigen „Shitstorm“ in den sozialen Netzwerken gleichkam.

Hans-Peter Sommer wurde am 20. Februar 1944 im heutigen Humboldt-Schloss in Hettstedt-Burgörner geboren. Sein Vater, ein Österreicher, fiel im Frühjahr 1945. Seine Mutter stammte aus Mansfeld. Nach dem Studium hat Sommer bis 1990 als Lehrer für Physik, Mathematik, Astronomie und ESP gearbeitet. Nach dem Zusammenbruch der DDR wurde das CDU-Mitglied der erste Landrat des Landkreises Hettstedt. Nach der Fusion mit Eisleben wurde Sommer im Jahre 1994 zum Landrat des Landkreises Mansfelder Land gewählt. Dieses Amt hatte er bis zur Bildung des Landkreises Mansfeld-Südharz zum 1. Juli 2007 inne. In dieser Zeit hat er viel erlebt. Für die MZ plaudert der Ex-Landrat aus dem Nähkästchen.

„Mir schlug eine Welle von Hass, Wut und Selbstherrlichkeit von Eiferern entgegen“, erinnert sich der 72-jährige Hettstedter auch nach dem zeitlichen Abstand von 20 Jahren „mit einem großen Unbehagen“ an diese Vorgänge.

Die Anfänge reichen ins Jahr 1972 zurück. Damals erhielt der Tierpark in Walbeck aus Gotha das Braunbären-Paar Bummi und Nina. Dafür wurde das Mausoleum der früheren Besitzer des Schlosses Walbeck am Nordgang des Parkes in ein Bärengehege umgestaltet. Vor allem an den Wochenenden pilgern die Besucher in Scharen dorthin, um die Bären zu bestaunen. Viele nutzen das Angebot zu einem Sonntagsausflug nach Walbeck. Sie wandern durch das Walzwerkhölzchen zum Ölgrundteich und weiter bis zum Tierpark.

„Auch wir sind als Familie immer gern in den Tierpark gegangen“, erzählt Sommer. Ihm waren wie vielen anderen Besuchern die Bären ans Herz gewachsen. Insofern sorgt die Nachricht, dass die Braunbären nicht mehr in dem angebauten, viel zu kleinen Zwinger untergebracht werden dürfen, im Jahr 1994 im gesamten Mansfelder Land für Aufsehen. „Sofort brach eine öffentliche Diskussion los“, sagt der damalige Landrat des neuen Landkreises Mansfelder Land.

Und da die zuständigen Behörden knappe Fristen gesetzt haben, um das Bärengehege aufzugeben, bleibt allen Beteiligten anfangs nur eine Alternative: Entweder die Bärenfamilie mit den zwei Jungtieren findet ein passendes Zuhause oder die Tiere müssen eingeschläfert werden. Da schlagen natürlich die Wogen hoch. „Manche Medien heizten die Stimmung noch auf“, beklagt Sommer.

Bürgerinitiativen gründen sich und Fernsehsender tauchen auf

Eine Welle des Protestes erhebt sich. Es gründet sich eine Bürgerinitiative „Rettet die Bären“. Plötzlich tauchen private Fernsehsender wie RTL und SAT 1 im Tierpark in Walbeck auf und setzen danach Herz zerreißende Storys über die  Bären ab, die vom Tode bedroht seien. Es dauert nicht lange, da werden  Tierschützer aller Couleur hellhörig. Sie malen zum Teil düstere Szenarien über die Zukunft der drei Bären und üben heftige Kritik an den Behörden. Sommer versucht derweil fieberhaft, irgendwo einen Zoo aufzutreiben, der die Bären aufnimmt. Doch das erweist sich als äußerst schwierig.

Seine Mitarbeiter haben auf zwei Seiten alle denkbaren Tierparks aufgelistet und telefonieren sie nach und nach ab.  Ob der Zoologische Garten in Berlin, der Tierpark Hagenbeck in Hamburg oder die Zoos in Heidelberg, München und Stuttgart. Kein Tierpark kann die Bären gebrauchen. Der Landkreis handelt sich mehr als 20 Absagen aus ganz Deutschland ein. „Alle haben nur abgewunken“, so der  Landrat im Ruhestand.

Welchen ungewöhnlichen Schritt Landrat Sommer unternimt

Unterstützt wird er bei der Suche nach einem geeigneten Quartier für die Walbecker Bären von der Interzoo Service & Logistik GmbH mit Sitz in Gelsenkirchen. Das Unternehmen, das auf Tiertransporte spezialisiert ist, hat Kontakte überall in Europa. Unterdessen sitzt dem Landrat die Zeit im Nacken.   Das zuständige Regierungspräsidium in Halle verlängert wegen der Verzögerungen bei der Suchaktion zweimal die Frist: Bis Ende Juli 1995 soll endlich eine Entscheidung über das Schicksal der Bären gefällt werden. Bei Sommer laufen in dieser Zeit die Telefone heiß. „Ich bekam von überall her Tipps, nur was Brauchbares war nicht darunter“, so der heutige Pensionär.

In seiner Verzweiflung wagt Sommer damals einen ungewöhnlichen Vorstoß. Er will die Bärenanlage so umbauen lassen, dass die Tiere dort bleiben können. Mindestens 300.000 D-Mark werden dafür veranschlagt. Es wird ein Trägerverein gegründet, um den Tierpark bei der Bewältigung der neuen Herausforderungen zu unterstützen. 

Bonner Zentrale des Deutschen Tierschutzbundes schaltet sich in Angelegenheit ein

Der Kreis wird „Hauptgeldgeber“. Doch selbst Bürgermeisterin Petra Wernicke, die den Trägerverein des Tierparks bis heute leitet, äußert sich skeptisch zu dem Unterfangen, die Bären in Walbeck belassen zu wollen. Ungeachtet dessen beginnt eine Spendensammlung.

Mittlerweile hat sich sogar die Bonner Zentrale des Deutschen Tierschutzbundes eingeschaltet, um die Bären zu vermitteln.  Auch das Regierungspräsidium streckt seine Fühler aus. Dann geht alles ganz schnell. Im Morgengrauen des 14. August 1995 werden die drei Braunbären in einer geheim gehaltenen Blitzaktion in Walbeck in Transportkäfige verfrachtet und in ein Wildgehege nach Nordspanien gebracht. Im Frühjahr darauf  reißen ABM-Kräfte den maroden Zwinger ab. „Ich habe es immer bedauert, dass die Bären wegmussten, doch es gab letztlich keine andere vernünftige Entscheidung“, sagt Sommer aus heutiger Sicht.  (mz)

Zum Abschluss der Serie geht es beim nächsten Mal  um einen falschen Doktor, der als Geschäftsführer agierte.