Verein hilft Opfern sexueller Gewalt Wildwasser in Halle: Dieser Verein hilft Opfern sexueller Gewalt

Halle (Saale) - Der schockierende Fall einer Mutter, die in der MZ vom Missbrauch ihrer Töchter durch den neuen Mann berichtete, hat in Halle Bestürzung, aber auch Bewunderung für die Stärke der Frau ausgelöst. Im Gespräch hatte sie kritisiert, dass sie nach dem Bekanntwerden des Falls und während des Gerichtsverfahrens keinerlei Hilfe erhalten habe - außer vom Verein „Wildwasser“ aus Halle. Was macht dieser Verein?
Verein „Wildwasser“ in Halle hilft Menschen, die missbraucht, sexuell belästigt, gestalkt wurden
Zu Besuch in einem überraschend gemütlichen Beratungsraum in einem Haus an der Großen Steinstraße: In dem in Erdtönen gehaltenen Zimmer sitzen Michaela Koch, blond, Brille, und Daniela Rackow, rote Haare und Bob-Frisur, auf zwei Sofas. Ein Taschentuchspender auf dem Couchtisch verrät: Die Gespräche, die hier geführt werden, sind belastend.
Die beiden Diplompädagoginnen sind Ansprechpartner für Opfer sexualisierter Gewalt und deren Angehörige. Nicht nur Vergewaltigungsopfer oder missbrauchte Menschen kommen zu ihnen, auch Frauen, die sexuell belästigt werden, und Stalkingopfer. „Allerdings verwenden wir das Wort Opfer nicht, sondern sprechen von Klienten. Opfer sind die Klienten ab dem Moment nicht mehr, ab dem sie wissen, dass ihnen Unrecht geschehen ist und sie sich dagegen wehren“, sagt Koch.
Wichtig bei der Hilfe: Die Klienten müssen nicht jede Kleinigkeit schildern
Der Ablauf der Beratungen ist dabei stets verschieden. Die Frauen erzählen über ihr Erlebnis. „Dabei müssen sie, anders als bei Gericht, aber nicht jede Kleinigkeit schildern. Die Klientin entscheidet, was sie erzählt“, sagt Rackow. „Wir beraten sie und erklären auch, was es bedeutet, eine Anzeige zu erstatten. Dann gibt es kein Zurück mehr, weil die Polizei bei so einem Offizialdelikt ermitteln muss“, ergänzt Koch. Doch auch wenn die Frauen keine Anzeige erstatten wollten, sei das in Ordnung.
Ein Grund für oder gegen eine Anzeige ist oft die Frage nach der Abhängigkeit. „Das darf man nicht unterschätzen. Aber wir informieren auch über Hilfen wie Frauenschutzhäuser oder finanzielle Unterstützungen“, sagt Koch.
Frauen, die Hilfe suchen, kommen aus allen Altersklassen und sozialen Schichten
Sie und ihre Kollegin hatten im vergangenen und im Jahr 2017, für das Zahlen vorliegen, viel zu tun: 1.628 Beratungen fanden in den Räumen des Wildwasser-Vereins statt. Er ist nicht nur für Halle, sondern den gesamten Landessüden zuständig. Die Frauen, die Hilfe suchen, gehören dabei allen Altersklassen und sozialen Schichten an.
Bis zum etwa sechzehnten Lebensjahr würden die Kinder in Begleitung ihrer Eltern, Freunde oder Lehrer kommen, danach gehe es auch allein. Aber wir haben auch 50-, 60-Jährige hier sitzen, die über Missbrauch in der Kindheit sprechen. „Das Thema ist schambesetzt“, sagt Koch.
Langes Warten auf Therapieplätze
Dass Frauen oder Kinder aus bildungsfernen Schichten häufiger Opfer würden, könne man so nicht sagen. Menschen mit Behinderung, die sich nicht wehren oder über das Erlebte sprechen können, hätten jedoch ein höheres Risiko.
Alle „Klienten“ eint, dass sie trotz der Beratung lange auf einen Therapieplatz warten müssen, beklagen die Pädagoginnen. Wartezeiten für eine Traumatherapie würden mindestens ein halbes, manchmal auch ein Jahr betragen. Ungefährlich ist das nicht. „Unbehandelt sind Angststörungen möglich. Manche Klientinnen von uns können das Haus nicht mehr verlassen“, sagt Koch. (mz)