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Welttag des Buches  Welttag des Buches : Ehemalige Stadtschreiber von Halle geben Büchertipps

Von Silvia Zöller 23.04.2020, 12:15
Christian Kreis hat als Stadtschreiber das „Halle Alphabet“ verfasst - Buchstabe L ist die Ludwig-Wucherer-Straße, die man auf gar keinen Fall als „LuWu“ abkürzen darf: „Das ist Blasphemie.“ Kreis hatte 2019 das Stipendium als Stadtschreiber erhalten.
Christian Kreis hat als Stadtschreiber das „Halle Alphabet“ verfasst - Buchstabe L ist die Ludwig-Wucherer-Straße, die man auf gar keinen Fall als „LuWu“ abkürzen darf: „Das ist Blasphemie.“ Kreis hatte 2019 das Stipendium als Stadtschreiber erhalten. Silvio Kison

Halle (Saale) - Genau 18 Männer und Frauen waren es schon - Stadtschreiber und Stadtschreiberinnen in Halle. Seit 1991 wird der Titel bis auf wenige Ausnahmen jährlich an einen anderen Schriftsteller verliehen. Zum Welttag des Buches hat die Mitteldeutsche Zeitung die Literaten befragt - und viele spannenden Antworten bekommen. Die Schriftsteller sind natürlich Experten für die wichtigste Frage: Welches Buch muss man unbedingt gelesen haben?

Da tun sich die früheren Stadtschreiber jedoch nicht leicht - wegen der vielen guten Bücher. André Schinkel hat eine klare Meinung: „An klassischer Literatur Goethes ,West-östlichen Diwan‘, es enthält einige der schönsten Liebesgedichte der Weltliteratur. An neuester Literatur rate ich zu Robert Seethalers ,Das Feld‘.“ Für Christian Kreis ist es eindeutig „Don Quijote“ von Cervantes. Thomas Rackwitz empfiehlt die Bücher seiner Amtsvorgänger André Schinkel („Bodenkunde“) oder „Gotische Knoten - Zornige Gedichte“ von Wilhelm Bartsch.

Kommt die Corona-Literatur?

Simone Trieder mag nichts Konkretes empfehlen und bedauert jedoch zum Welttag des Buches, dass Literatur leider auch dem Mainstream unterliegt: „Dieser wird gelenkt von den Programmleitern in den Verlagen, durch die Agenturen, auch durchs Feuilleton: Es ist also eine Welle von Corona-Literatur zu erwarten, vor der fürchte ich mich schon. Der gesamte Literaturbetrieb ist selbstverliebt und einseitig und lässt viele gute Autoren unbeachtet.“

André Schinkel sieht ein anderes Problem: Viele Künstler - und auch gestandene Autoren - leisten wichtige Arbeit „und haben trotzdem Sorgen um ihre Existenz, in der momentanen Lage ganz und gar.“

Literarische Modelle könnten zu „fiktiven Wegzeichen“ werden

Andererseits habe die CoronaKrise gerade für Bücher etwas Besonderes bewirkt, meint Paul Bartsch: „Bemerkenswert ist die Tatsache, dass ausgerechnet Buchhandlungen in unserem Bundesland nicht von der allgemeinen Geschäftsschließung betroffen waren. Es war ein schönes Zeichen in Zeiten des Shut- downs, dem öffentlichen Leben zwischen den Bücherregalen ein Refugium zu gewähren.“

Am 23. April ist der weltweite Feiertag des Lesens, für Bücher und Autorenrechte. Die Unesco hat den Welttag des Buches 1995 ins Leben gerufen. Die Idee basiert auf dem katalanischen Brauch, zum Namenstag des Heiligen Georg Rosen und Bücher zu verschenken. Deshalb werden in einer gemeinsamen Initiative des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der Stiftung Lesen und weiterer Förderer auch Buch-Gutscheine verschenkt - in diesem Jahr wegen Corona jedoch erst im September zum Weltkindertag.

Seit 1991 werden in Halle Stadtschreiber ernannt. Der erste war Dieter Mucke, es folgten Wilhelm Bartsch (1993), Christoph Kuhn (1994), Winfried Völlger (1996), Kurt Wünsch (1997), André Schinkel (1998), Christina Seidel (2000), Doris Claudia Mandel (2002), Rolf Krohn (2003), Simone Trieder (2005), Paul Bartsch (2006), Ronald Gruner (2008), Christine Hoba (2010), Juliane Blech (2014), Thomas Rackwitz (2015), Anna Kuschnarowa (2017), Marko Dinic (2018) und Christian Kreis (2019).

Er sieht der Corona-Literatur gelassen entgegen. Literarische Modelle könnten hier zu „fiktiven Wegzeichen“ werden, die zur Auseinandersetzung anregen.

Leseförderung beginnt im Elternhaus mit der Vorbildwirkung

Wird denn überhaupt genug gelesen und für die Literatur die Werbetrommel gerührt? Christina Seidel ist sich da nicht sicher: „Die Leseförderung beginnt im Elternhaus mit der Vorbildwirkung der Eltern oder Großeltern und setzt sich fort mit Lehrern, die begeistern können und selbst leidenschaftliche Leser sind.“ Verstärkt müsse man bei Kindern ansetzen, die selbst nicht solche Vorbildwirkung erfahren, und ebenfalls in der Lehrerausbildung, so die Schriftstellerin.

Auch Christoph Kuhn sagt das: „Die Schulbildung im Fach Literatur, überhaupt die musische Bildung, ist defizitär.“ Die Bedeutung des Lesens werde unterschätzt. Anna Kuschnarowa sieht es noch dramatischer: Der Autor stehe auf der Roten Liste - auch schon vor Corona. „Vielleicht ab dem Zeitpunkt, als der erste Wahnsinnige aus seiner Berufung einen Beruf gemacht hat“, meint sie. Die ausgefallene Leipziger Buchmesse und Lesefeste in Halle und Leipzig empfinden die Literaten unisono als Fiasko.

Fernsehkanal für Literaten

Und auch das vor zwei Jahren eröffnete hallesche Literaturhaus halten nicht alle für das Nonplusultra. „Ich habe den Eindruck, das Interesse des Hauses an hiesigen Schriftstellern ist nicht so stark ausgeprägt“, sagt Simone Trieder. Auch Christian Kreis sieht es als „schöne Ergänzung“, aber Schriftsteller könnten ihre Werke nie genug vorstellen, selbst wenn sie einen eigenen Fernsehkanal dafür hätten. Weshalb es auch schon vor den Zeiten des Literaturhauses Lesereihen in Halle gab und gibt, so Kreis.

Jede Menge Kandidaten für den Literaturnobelpreis 2020 jedoch könnten die halleschen Stadtschreiber auf alle Fälle benennen. Juliane Blech: „Elisabeth Strout oder Friederike Mayröcker.“ André Schinkel: „Péter Nádas.“ Anna Kuschnarowa: „Sibylle Berg.“ Paul Bartsch: „Margaret Atwood.“ Thomas Rackwitz schlägt den amerikanischen Präsidenten Donald Trump vor: „Als Trost, dass er den Friedensnobelpreis wieder nicht bekommen wird, zumal Trump Geschichten erfinden kann wie kein anderer.“ (mz)