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«Vater war der letzte Salzgraf»

Von HEIDI POHLE 19.12.2008, 17:20

HALLE/MZ. - Außerdem erbte man diesen Titel nicht - Salzgrafen setzte der Erzbischof ein. Und doch hat Helga Reichstein einen engen Bezug zu einem ganz besonderen Salzgrafen: "Der letzte Salzgraf war mein Vater, der Bergrat Clemens Abels (1881-1956)." Am Sonntag wird seine Tochter 80 Jahre alt. Anlass für sie, in Erinnerungen zu kramen.

Eigentlich wird die studierte Geologin ja täglich an ihren Vater erinnert, lebt sie doch mit ihrem Mann, dem Geologieprofessor Manfred Reichstein, noch immer in jener Wohnung in der Händelstraße am Reileck, in der der Salzgraf seine letzten Jahre verbrachte. "Im Herrenzimmer hat er gerne am Kamin gesessen", so die Jubilarin. Doch so recht glücklich sei er nach dem Krieg nicht mehr geworden. "Seinen Beruf als erster Bergrat, in dem er die Geschäfte eines Salzgrafen nebenamtlich ausübte, verlor er mit dem Einmarsch der Russen im Juli 1945. Damals wurden die Bergämter aufgelöst, man schickte Clemens Abels in den Ruhestand.

"Besonders bitter aber war es für ihn, aus unserem Haus in der Margarethenstraße, heute Ludwig-Stur-Straße (hinter dem Steintor), verwiesen zu werden. Die Russen richteten sich dort ein, später die Stasi." All das habe ihr Vater, der in Clausthal-Zellerfeld (Harz) geboren wurde, nicht verkraftet. Zuflucht fand die Familie bei Freunden in der Händelstraße; Tochter Helga blieb dort wohnen. Einige der unzähligen Bücher, die fast alle Wohnzimmerwände bedecken, stammen noch von ihrem Vater.

Von seinen vier Kindern konnte der Bergrat, ein höherer Bergbaubeamter, am meisten Helga für seinen Beruf begeistern. "In den Ferien haben wir mit ihm zum Beispiel in Thüringen Fossilien in Muschelkalk gesucht." Als Schülerin war sie mit ihm sogar in Braunkohlengruben. "Und zwar mit Begeisterung", erzählt sie und zeigt ein Foto von 1934. Darauf ist Clemens Abels zu sehen - in der Festtracht des Salzgrafen mit Halloren. Zu ihnen gehörte der Salzgraf, auch wenn er nicht mehr die Bedeutung hatte wie seine Vorgänger, als diese gewichtigen Persönlichkeiten noch zuständig für alle Rechtsfragen der Halloren und Vorsitzende des Schöppengerichts waren. Ab 1840 übten sie ihr Amt nur noch nebenberuflich aus. Mit dem Ruhestand des letzten Salzgrafen endete ihre Tätigkeit nach 800 Jahren, wie bei Hobby-Historiker Lothar Vogel nachzulesen ist.

Helga Reichstein weiß noch genau, wie das Pfingstbier und das Sonnenfest auf der Saline gefeiert wurden. "Vater, Bergmann mit Leib und Seele und Schwager bei den Halloren, hat uns Kinder oft mitgenommen."

Sie ist in seine Fußstapfen getreten, studierte Geologie. Und wurde 1947 hallesche Tennis-Jugendmeisterin, heiratete ihren Studienfreund Manfred. Mit ihm reiste sie viel in die Berge, vor dem Mauerbau in die Alpen, später in den Kaukasus und in die Karpaten. Nachdem die drei Söhne aus dem Hause waren, arbeitete sie bis zur Wende am Geographie-Institut. Noch heute gehört das Ehepaar dem Alpenverein Halle an, den es 1990 wieder mit ins Leben rief.

An Gratulanten wird es Helga Reichstein nicht mangeln, darunter sicher ehemalige Diplomanden, Doktoranden und Habilitanden, die den Sachverstand und die Hilfsbereitschaft der Jubilarin einst als Geheimtipp weitergaben. Auch die Familie kommt, zu der acht Enkel sowie zwei Urenkel - heute vielleicht sogar schon drei, gehören.