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Unbegleitete Flüchtlinge in Nietleben Unbegleitete Flüchtlinge in Halle Nietleben: Aus Angst und Argwohn wird Zuneigung

Von Nicolas Ottersbach und Anja Förtsch 19.07.2016, 20:16
Der Leiter des Heidebades, Mathias Nobel, macht gute Erfahrungen mit Flüchtlingen.
Der Leiter des Heidebades, Mathias Nobel, macht gute Erfahrungen mit Flüchtlingen. Nicolas Ottersbach

Halle (Saale) - Die Jungen aus der Flüchtlingsunterkunft in Nietleben stellen sich brav an. Theoretisch müssen sie an der Kasse des Heidebads nicht warten, schließlich haben sie Berechtigungsausweise.

„Aber sie dürfen sich auch nicht einfach vordrängeln, das hinterlässt einen schlechten Eindruck“, sagt Badleiter Mathias Nobel. Er ist einer derjenigen, die die Unterkunft für unbegleitete Minderjährige im Westen Halles von Anfang an befürwortet haben.

Entgegen dem Argwohn vieler Anwohner, der nach einer öffentlichen Versammlung bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte.

Das ist nun knapp drei Monate her. Drei Monate, in denen die aktuell 16 Jugendlichen die Möglichkeit hatten, den Kritikern ein anderes Bild zu vermitteln.

Nobel überzeugten sie sofort, er schwärmt regelrecht von den Jungs. Sie seien höflich, benähmen sich. „Manch einer kann sich da eine Scheibe von abschneiden“, sagt er. Nobel erzählt davon, wie sie sich für die Heimatgeschichte interessierten und trotz Ramadan Ausflüge mitmachten.

„Dieser gute Eindruck kommt auch bei den Nietlebern an, die meisten haben ihre Unsicherheit überwunden“, sagt er.

Derzeit leben 1.161 minderjährige unbegleitete Geflüchtete in Sachsen-Anhalt. Die Zahl ist im vergangenen Jahr enorm gestiegen: Ende 2014 waren es gerade einmal 55, Ende 2015 bereits rund 900.

Hintergrund ist laut Sozialministerium die seit November geltende bundesweite Verteilung für neu ankommende unbegleitete Minderjährige. Sie werden damit genauso wie Erwachsene über eine Quotenregelung auf die gesamte Bundesrepublik verteilt.

Horst-Joachim Erbe hat seine anfänglichen Ressentiments abgelegt. Der Arzt wohnt direkt gegenüber der Flüchtlingsunterkunft. In einem gepflegten kleinen Häuschen samt Garten.

Bei der Versammlung gab er sich damals kritisch. Betont nun aber, unvoreingenommen gewesen zu sein. „Eine gewisse Unsicherheit ist doch ganz natürlich“, erzählt er. 

Erbe schaute sich das Haus, das vom Roten Kreuz betrieben wird, an. Unterhielt sich mit den Jugendlichen. Er kann sich nun sogar vorstellen, Pate zu werden und einen von ihnen zu betreuen.

Es gibt aber durchaus Zweifler. „Passen Sie auf, was Sie sagen“, ruft eine Frau mittleren Alters Erbe zu. Sie möchte sich nicht zur Flüchtlingsunterkunft äußern. Nur so viel: Nachts könne man nicht schlafen, weil es so laut sei. Und: „Wir sitzen hier auf einem Pulverfass.“

Ob diese Einstellung auch aus der Axt-Attacke des 17-jährigen Flüchtlings in Würzburg herrührt? Darauf antwortet sie nicht. Erbe hat dazu eine klare Meinung. „Das sind Sachen, die immer passieren können“, sagt er. Es sei schrecklich, aber eine hundertprozentige Sicherheit gebe es nie. Wegen so etwas dürfe sich das Bild von den  jungen Flüchtlingen in der Nachbarschaft nicht ins Negative wandeln.

Ob sich durch den Vorfall in Würzburg etwas an der Aufnahme, Unterbringung oder Betreuung der jugendlichen Geflüchteten in Sachsen-Anhalt ändern wird, ist unklar: „Zum jetzigen Zeitpunkt liegen zu wenig Erkenntnisse vor, um hieraus Änderungsbedarfe ableiten zu können“, heißt es aus dem Sozialministerium.

Die minderjährigen Unbegleiteten sind in Kinderheimen, Erziehungsfachstellen oder Einrichtungen des betreuten Wohnens untergebracht. Diese Einrichtungen sind integrativ. Deutsche und ausländische Kinder sowie Jugendliche wohnen dort zusammen.

Auch Andreas Below, der die Einrichtung in Nietleben seit zwei Wochen leitet, hofft, dass die Stimmung vor Ort nicht kippt. „Wenn es erforderlich ist, werden wir dieses Thema auch mit den Jugendlichen aufarbeiten“, sagt er.

Damit sie, falls sie öffentlich damit konfrontiert werden, auch angemessen reagieren können. Bisher seien sie darauf noch nicht angesprochen werden. (mz)