Szene zu DDR-Zeiten Szene zu DDR-Zeiten: Wie die Stasi einem Punk in Halle nachstellte
Halle (Saale) - Pippi Langstrumpf ist schuld, schuld an allem, was später kam. Die Klamotten, die Haare, die Musik, die wilden Tänze auf dem Boulevard, die Festnahmen, Verhöre, Prügel, Nächte in Isolationshaft.
Geralf Pochop war gerade in die Schule gekommen, als ihm klargemacht wird, dass das kleine Schwedenmädchen mit den Zöpfen gar nicht die lustige Freundin aus dem Fernsehen ist, die sie zu sein schien. Sondern eine Kriegstreiberin, nur erfunden, um Geralf, den achtjährigen Jungen aus der Luxemburg-Schule in Halle, einzulullen, bis die Armeen der Imperialisten die ganze friedliebende DDR erobert hätten.
Pochop hat seiner Lehrerin kein Wort geglaubt, sondern die erste Grundregel für das Leben in der DDR gelernt: „Erzähle in der Schule niemals, was du im Westfernsehen gesehen hast.“ Eine Lehre, mit der der heute 54-Jährige zumindest eine Weile lang gut fuhr. Aber einem System auszuweichen, das überall ist und Anspruch auf jeden erhebt, gelingt nur eine Zeit lang.
Geralf Pochop: „Ich wollte vieles nicht einfach hinnehmen“
„Dann wurde unser Musiklehrer von der Schule verwiesen, weil er lange Haare hatte und Rockbands in den Unterricht aufnahm“, erinnert sich Pochop an die Zeit, als „Jeans Teufelszeug waren und man das Hemd in die Hose stecken musste“. Irgendetwas regt sich im Neubaukind aus der Südstadt ein Widerspruchsgeist, der nicht still sein mag. „Ich wollte vieles nicht einfach hinnehmen“, beschreibt Pochop, der in seinen Jugendjahren Freiräume in der Fußballfanszene und bei den „Kunden“ genannten Bluesmusikanhängern sucht.
Es ist dann eine Radiosendung, die ihm die Ohren öffnet und sein gesamtes Leben ändert. NDR 2 spielt zwei Lieder der Sex Pistols, einer britischen Punkband. „Das klang so anders als alles, was es bisher an Musik gab“, sagt Geralf Pochop über jene magische Nacht am Stereotonbandgerät B-100. Gänsehaut und Kribbeln im Bauch. Die beiden Lieder laufen immer wieder. „Ich war vom Punkvirus infiziert.“
Eine schwere Krankheit aus Sicht der DDR-Behörden. Obwohl Pochop noch nicht einmal weiß, was er als Punk anziehen müsste und welche Frisur zu tragen wäre, ist der 13-Jährige aus Sicht der Staatsmacht schon zum Feind geworden. „Härte gegen Punks“ wird Staatssicherheitschef Erich Mielke später persönlich befehlen.
Punk ist für Pochop das Ventil, das sein Freiheitsdrang braucht
Ein Versuch, Zahnpasta in eine Tube zurückzudrücken, während man gleichzeitig hinten auf der Verpackung kniet. Punk ist für Pochop das Ventil, das sein Freiheitsdrang braucht, das sein Gerechtigkeitssinn sucht, nach dem seine unbändige Kreativität verlangt. „Das totale Anderssein, diese neue Musik ohne festgefahrene Regeln, die ganze kreative Szene“, erzählt er 35 Jahre später, „das faszinierte mich.“
„Schicksal“ nennt er heute den Moment vor dem Radio, an dem seine Reise in die Parallelwelt des DDR-Punk beginnt, der so verboten ist, dass DDR-Punkbands wie Müllstation, Wutanfall oder Schleimkeim kein Blatt vor den Mund und keinerlei Rücksicht mehr auf staatliche Empfindlichkeiten nehmen müssen. „Warum auch?“, sagt Pochop, „Punk war ja so oder so verboten.“ Wo immer der Hallenser mit seinen Freunden auftaucht, passiert zweierlei: „Alle schauten auf uns. Wir waren die Coolen!“
Und die Volkspolizei schaut nicht nur, sie schikaniert, prügelt los, verhaftet. Wer wie ein Punk aussieht, wird „zugeführt“, wie es die Polizei nennt. Es gibt Entführungen und Verhöre durch die Staatssicherheit, Hausdurchsuchungen, Ordnungsstrafen, Einweisungen in Jugendwerkhöfe und Verurteilungen zu Haftstrafen. „Als Höhepunkt wurde ein Paragraf geschaffen, nach dem unser Aussehen mit einer Ordnungsstrafe bis zu 500 Mark geahndet werden konnte - und das pro Sichtung!“
Geralf Pochop erlebt die Eskalation zu DDR-Zeiten mit
Der Staat macht so aus jungen Leuten, die eigentlich nur ihre Musik hören, Spaß haben und in Ruhe gelassen werden wollen, die Staatsfeinde, die er vom ersten Augenblick an in ihnen vermutet. Geralf Pochop erlebt die Eskalation mit, die auch in der Punk-Hochburg Halle, „ein paar Hanseln zwischen 13 und 22“, wie es Pochop nennt, in eine politisch radikalisierte Szene verwandelt, die die DDR entschiedener ablehnt als jede andere Oppositionsgruppe. „Als Staatsfeinde haben wir uns anfangs nicht gesehen“, erinnert er sich, „das entstand erst als Reaktion auf die ständigen Übergriffe und Verbote.“
Es herrscht Krieg zwischen dem Staat und den Punks, ein Krieg, den die einen mit Ironie und die anderen mit blanker Gewalt führen. Als Punks aus der ganzen Republik im Herbst 1983 zu einem Punk-Festival in der Christusgemeinde anreisen, sperren Polizei und Stasi den Bahnhof, es kommt zu brutalen Massenverhaftungen und selbst Pfarrern, die zwischen Jugendlichen und Einsatzkräften vermitteln wollen, wird Bahnhofsverbot angedroht.
Auch Geralf Pochop erwischt es, immer wieder wird er festgenommen und schließlich bei den Feierlichkeiten zum Republikgeburtstag mitten in Halle verhaftet. Eine „nagende Punkratte am Fundament des Sozialismus“, nennt ihn die Stasi nun. Es folgt eine Anklage wegen „Verleumdung des Staates“ und ein Prozess, bei dem das Urteil vor Beginn feststeht. Aus Geralf Pochop wird Häftling 007, sechs Monate lang versuchen Stasi-Mitarbeiter, den 23-Jährigen umzudrehen und zum Spitzel zu machen.
Pochop gründet nach der Wende mit der Band „Gleichlaufschwankung“ seine eigene Punkband
Doch Pochop hat abgeschlossen mit der DDR. Der Staat, den er immer nur ignorieren wollte, hat ihn zu einem Staatsfeind gemacht, der nach seiner Entlassung für illegale Untergrundzeitungen schreibt und nur noch sehnsüchtig auf den Tag wartet, an dem sein Ausreiseantrag genehmigt wird.
Kurz vor den Wahlen im Frühjahr 1989 ist es soweit. Pochop wird mit einer Vorwarnzeit von 48 Stunden aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen, wie es offiziell heißt. Sieben Monate nach seinem Abschied aus der DDR verabschiedet sich auch der Staat, der ihn so sehr davon abhalten wollte, Punkmusik zu hören, dass Pochop auch später nie mehr davon gelassen hat. Nach dem Ende der DDR kehrt er nach Halle zurück und gründet den Plattenladen Schlemihl, später ein auf Punkmusik spezialisiertes Plattenlabel und mit der Band Gleichlaufschwankung seine eigene Punkband.
2011 wird das Urteil aus der DDR-Zeit als Unrecht aufgehoben und Pochop rehabilitiert. Doch was damals war, wirkt bis heute fort. Es sind Jahre gewesen, für die Geralf Pochop dankbar ist, „weil sie mich zu dem gemacht haben, der ich heute bin“. Ein Punk, immer noch: Vor ein paar Tagen erst war er mal wieder bei einem Konzert von Müllstation, der Punklegende aus Eisleben, die den Soundtrack gespielt hat zu seiner Jugend.
Geralf Pochop, „Untergrund war Strategie - Punk in der DDR“, Hirnkost-Verlag, 192 Seiten, 20 Euro