Syrer in Halle Syrer in Halle: Machtlose Helfer hoffen auf Flüchtlingsaufnahme

Halle/MZ - Man muss ihn suchen, den Hauch des Orients - in Halle. Aber es gibt ihn. Auf alle Fälle im syrischen Lokal „Palmyra“. Es ist einer der Treffpunkte der Syrer, die in Sachsen-Anhalt leben. Traditionell stehen während ihrer Begegnungen arabische Kartenspiele und Würfeln hoch im Kurs. Dafür bleibt seit dem Bürgerkrieg in der Heimat nur noch wenig Zeit. Man trifft sich zwar häufiger als früher, aber immer häufiger beherrschen große Sorgen die Gespräche. Im Mittelpunkt stehen diese Fragen: Was ist los zu Hause, wie geht es weiter in Syrien?
Die Männer umarmen sich herzlich. Gemeinsam in der Fremde, das verbindet. Dass sie sich unterschiedlichen religiösen Gruppen oder politischen Richtungen zugehörig fühlen, tut hier nichts zur Sache. Aber es ist auch ein reiner Männer-Verein, der sich da auf weichen Kissen platziert. Frauen sucht man hier vergeblich.
Saddam, der Küchenchef, bringt starken schwarzen Tee - mit viel Zucker. Auf den ersten Blick macht sich Behaglichkeit breit. Man spricht über das Wetter. Doch auch dieses offenkundig harmlose Thema führt rasch zu einem Gespräch über Krieg und Frieden. Natürlich. In Damaskus herrschen jetzt wunderbare 32 Grad Celsius, heißt es. Aber spätestens nach der zweiten Tasse Tee ist klar: Selbst wenn in Damaskus jeden Tag die Sonne schiene und Halle am Nordpol liegen würde, blieben diese Syrer hier im sicheren „Palmyra“.
Warum ist das so? Der Arzt Marwan Moufti, der als Arzt in der halleschen Altstadt arbeitet, ist froh über diese Frage. Seine Antwort wirkt ernüchternd einfach und brutal: „In Syrien ist ein Mensch nicht mehr viel wert.“ Das sei schrecklich und genau das erkläre seinen größten Wunsch, gefährdete Syrer nach Deutschland zu holen. Dazu gehörten nicht nur seine Schwester, eine Ingenieurin, oder andere Verwandte. Er würde die Flugtickets bezahlen. Wohnen könne die Schwester bei ihm. Alle würden irgendwie unterkommen, sagt er. Was fehlt, sind die Visa. Dazu müssten die Flüchtlinge, wenn sie das UN-Hilfswerk nicht rette, auf eigene Faust in die deutsche Botschaft in der libanesischen Hauptstadt Beirut. „Das ist aber wegen der Kämpfe lebensgefährlich.“ Andere in der Runde, die gleichfalls Verwandten und Freunden aus der Not heraushelfen wollen, bestätigen einerseits ihre Hilfsbereitschaft, andererseits die dramatisch schwierigen Verhältnisse.
Es seien nicht nur die häufigen Schießereien in Syrien. Im unweit der türkischen Grenze gelegenen Latakia habe beispielsweise die Jugendarbeitslosigkeit eine Quote von 60 Prozent erreicht. Der Unterricht falle in vielen Schulen seit Monaten aus. Selten gebe es Strom, noch seltener frisches Wasser. Ob Regierungstruppen oder bewaffnete Opposition - beide Seiten des Konflikts terrorisierten die zivile Bevölkerung mit Mörsergranaten und Minen.
Täglich steige die Zahl der Opfer um Hunderte, wirft Tischnachbar Diwan wütend ein. Zugleich gesteht der Mittvierziger seine eigene Macht- und Ratlosigkeit. Über 100 000 Menschen hätten in diesem Krieg bereits ihr Leben verloren. Seine ganze Hoffnung: Deutschland erfüllt sein Versprechen und holt 5 000 der Flüchtlinge ins Land. Das sei ein Anfang, eine Hoffnung für die Menschen in Syrien. Jeder im „Palmyra“ telefoniert fast täglich mit der Heimat. Oft liegen dabei die Nerven blank. Denn mit jedem Schuss werde die Lage unerträglicher. Dann spüre man, heißt es, auch Wut auf den Rest der Welt. Allein schon aus humanitären Gründen hätte die internationale Gemeinschaft längst eingreifen müssen.
Moufti warnt vor Illusionen. „Mit der Ablieferung der chemischen Waffen ist der Bürgerkrieg nicht beendet.“ Der Druck auf die Regierung in Damaskus müsse weiter wachsen. Sonst werde alles noch schlimmer und dann müsse sich Deutschland bald auf 50 000 Flüchtlinge aus Syrien einstellen.
Mancher im Kreis lebt seit dem Studium in Halle, ist verheiratet, zieht Kinder auf. Das trifft auch auf Mrestani und Youssef zu. Der eine arbeitet als Pharmazeut, der andere im Handel. Beide sprechen ein akzentfreies Hochdeutsch. Nur wenn die Diskussion einen Höhepunkt erreicht, geht das Temperament mit ihnen durch. Dann hört man unvermittelt die hallesche Mundart, gemischt mit arabischen Lauten.
Das ist immer der Fall, wenn sich die Ereignisse in Syrien überschlagen. Vieles erfahren die Männer von Verwandten vor Ort, noch mehr von arabischen Sendern und aus dem Internet. Das Fazit ist in jedem Falle düster. Wie gerne würde man hoffen, aber wie geht so etwas angesichts der Massaker und der Terrorangriffe? Jemand erzählt über die Zerstörung der Moschee in Aleppo und muss beinahe weinen dabei. Dass das Assad-Regime daran schuldig ist, daran zweifelt niemand. Nur rabenschwarzer Humor rettet beispielsweise Al-Hussein vor völliger Verzweiflung: „Jeder Syrer darf den Mund aufmachen - freilich nur beim Zahnarzt.“ Aber so richtig kann darüber niemand lachen. Jeder im Raum weiß von den Umtrieben der syrischen Staatssicherheit. Wer es sich leisten könne, veranstalte Familientreffen im sicheren Ausland. „Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende“, sagt jemand in der Runde. Die Männer nicken und trinken Tee.
