Street Art in Halle Street Art in Halle: Wer hat "Esel 1" auf den Eselsbrunnen gestellt?

Halle (Saale) - Es ist längst eine Art Krieg, der da mitten in der Stadt tobt. Ein Krieg mit Angriffen und Abwehrmanövern, ein Krieg mit Entführungen, Drohungen, mit erpresserischen Fotos, mit Strafanzeigen und bedauerlichen Kollateralschäden. Es ist auch ein modernder, ein elektronischer Krieg, in dem manche Beteiligten unsichtbar bleiben: Eine Facebook-Seite hier, ein getwittertes Foto dort. Ein Monat hat gereicht, und Halle, die meist so stille Stadt am Saalestrand, ist nicht mehr dieselbe.
Schuld daran ist ein Esel, der mehr als 100 Jahre lang ein zumeist recht unbeachtetes Dasein auf einem Brunnen unweit des Marktplatzes fristete. In einer Januarnacht dann sägten Unbekannte dem bekanntesten Werk des halleschen Bildhauers Heinrich Keiling den Schwanz ab. Dem Esel, der eine Sage aus dem 10. Jahrhundert nachstellt, der zufolge einst ein Müllersbursche mit seinem Begleiter die Rosen betrat, die die Bürger der Stadt zum Empfang von König Otto I. gestreut hatten, fehlten anschließend 40 Zentimeter rückwärtige Bronze. Nur 24 Stunden später versuchten die Täter, sich auch noch den Rest zu holen: Alle Befestigungen wurde gelockert. Nur weil sie beim Abtransport augenscheinlich gestört wurden, gelang es den Räubern nicht, die Skulptur mitzunehmen.
Stadt reagiert schnell
Die Stadtverwaltung handelte schnell. Kurze Zeit später schon wurde die am 31. Mai 1913 eingeweihte Plastik, inzwischen nur noch von einem einzigen Dübel gehalten, in die Werkstatt des Bildhauers Markus Traub gebracht. Dort soll der Experte dem Bronzetier einen neuen Schweif anpassen.
Ende gut, alles gut? Alles andere als das. Denn nun begann erst, was spätere Generationen vielleicht die Esel-Kriege von Halle nennen werden - ein Dramolett in fünf Akten, das bis heute zahlreiche Menschen weit über die Grenzen der Saalestadt hinaus bewegt.
Welcher ehemalige Stadtrat hinter Esel 1 steckt, lesen Sie auf Seite 2.
Dabei hatte der frühere Stadtrat Wolfgang Kupke anfangs nur das Gefühl „Halle ohne Esel, das geht gar nicht“. Im lokalen Internetforum Hallespektrum.de suchte der frühere Ausländerbeauftragte des Landes Unterstützer für die Idee, das Vakuum auf dem Eselsbrunnen mit einem Ersatz-Tier Marke „Garten-Deko lustiger Esel Shrek“ zu füllen. Kupke hatte wenig Mühe, andere „bekennende und praktizierende Hallenser“ zu finden, die sich als „hallesche Spaßguerilla“ daranmachten, einen dem gleichnamigen Hollywood-Film entlehnten Esel aus Glasfaserkunstharz zu ordern - inklusive „freundlicher Augen, einem ansteckenden Lachen und extrem langen Ohren“, wie der Thüringer Verkäufer wirbt. „Ihre Kinder werden sich freuen!“ Nicht nur die.
Es folgte eine historisierende Pflegekur, bei der der Neue durch Spaßguerilla-Mitglied Christian-Heinrich Wunderlich, eigentlich Chef der Restaurierungswerkstatt am Landesmuseum für Vorgeschichte, „mit Acryldispersion grundiert, im noch leicht klebrigen Zustand mit Goldbronze gepudert und schließlich mit grünen Eisenoxidpigmenten gestrichen wurde“.
So sollte die Färbung des Originals imitiert werden. Dann landete der breit grinsende Gast aus Kalifornien auf dem Brunnen am Alten Markt, von den Spaßguerilleros Anne Kupke, Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten, ihrem Vater Wolfgang, dem Archäologen Wunderlich und dem Taxifahrer Michael Kürschner liebevoll platziert auf frischen Rosen.
Das sollte „eine schelmische Idee sein, die unsere Stadt bereichert“, beschreibt Anne Kupke. Dass die Urheber anonym blieben, hatte rein praktische Gründe. „Eine Anfrage bei der Stadt wäre vermutlich abgelehnt worden“, glaubt die studierte Historikerin. Dann lieber doch so, auch „weil wir das alle einfach witziger fanden.“
Über einen Schelmenstreich für 38,99 Euro und dessen Auswirkungen lesen Sie auf Seite 3.
Dass der Schelmenstreich im Wert von 38,99 Euro zu einem Marketing-Coup wurde, wie ihn die Stadtverwaltung auch für viel, viel mehr Geld nicht hätte kaufen können, ahnten die vier Esel-Aktivisten da nicht. Doch kaum stand der Ersatz-Esel, berichteten sie alle: Magazine wie der „Focus“, Boulevardblätter wie die tz, Tageszeitungen wie „Die Welt“; der MDR, RTL, n-tv und sogar die „Tagesschau“. „Händel, Genscher, Franke waren gestern, Halles bekanntester Sohn ist zur Zeit ein Esel“, freute sich der hallesche Fotograf Andreas Weise.
Der Alte Markt wurde zur Pilgerstätte für Touristen, aber auch für viele Hallenser. Und der Shrek-Esel avancierte binnen weniger Tage zur meistfotografieren Sehenswürdigkeit der Stadt.
Nur das Stadtmarketing sei leider nicht angesprungen, klagt Anne Kupke - „trotz Kontaktaufnahme unsererseits“. Auch der Verein Pro Halle, der zuletzt mit witzigen Werbeaktionen Marke „Warum Woodstook, Halle ist...“ für Aufsehen gesorgt hatte, blieb stumm. „Schade“, findet Kupke das. Welches Werbepotenzial der Ersatzesel besitze, habe die von der Gruppe organisierte Herstellung von 10 000 Postkarten mit dem Shrek-Esel gezeigt. „Die sind alle weg.“
Wie der kleine Esel vom alten Markt (und dessen Nachfolger) die sozialen Netzwerke erobert, lesen Sie auf Seite 4.
Weg wie es auch der Ersatz-Esel bald war. Nur knapp zwei Wochen durfte sich der Shrek von Halle im Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit sonnen. Dann rissen Unbekannte ihn nachts von seinem Sockel und nahmen ihn mit. Wenig später begannen sie, auf einer eigens gegründeten Facebook-Seite mit dem Namen „Esel 1“, Bilder des entführten Wahrzeichens vor prägnanten Sehenswürdigkeiten der Saalestadt zu posten. Versehen oft mit höhnischen Kommentaren wie „Kommt und sucht mich“.
Der Beginn einer Schlacht, bei der auf offener Bühne um den öffentlichen Raum gestritten wird. Die Rechtslage ist unklar. Handelt es sich um eine Entführung? Diebstahl? Oder Sachbeschädigung? Wem gehört der Ersatz-Esel überhaupt und wenn nicht, hätte eigentlich nicht jeder ihn wegnehmen dürfen? Die Spaßguerillos, die jeden Verdacht zurückweisen, sie selbst hätten ihren Esel entführt, um noch mehr Aufmerksamkeit zu generieren, fanden eine Antwort. Ein neuer Shrek sprang ein - zur Freude von Passanten und Touristen. Aber wohl zum Ärger der Entführer. Nach drei Tagen schlugen sie zu und stahlen auch Shrek II. „Eine absolut diebstahlsichere Befestigung war nicht möglich, da wir den Brunnen keinesfalls beschädigen wollten“, erklärt Anne Kupke.
Wut in sozialen Netzwerken
Diesmal bezichtigte sich eine „Hallesche Esel-Befreiungsfront“ (HEBF) der Tat. „Wir waren die elende Dauerberichterstattung um den armen Esel satt“, behauptetet die HEBF bei Facebook, „der Esel musste befreit werden“. Ein Bekenntnis, das auf grollenden Widerspruch stößt. In den sozialen Netzwerken kocht die Wut um die Entführung und im Internet veröffentlichte Bilder, die den lustigen Shrek gedemütigt mit gebrochenem Huf und Augenbinde zeigen. „Leider verwechseln manche Menschen Humor mit Dummheit“, findet Esel-Fan Helga Rüdiger. „Zurückbringen wäre die Heldentat“, bittet Solveig Tiller. Die Eseldiebe hingegen drohen: „Schaltet die Polizei ein und wir machen Ernst.“
Ein Spaß, der als Konfrontation zwischen denen endet, die Halle als „Stadt mit Witz“ sehen, wie Anne Kupke sagt. Und anderen, die „alles nur kaputtmachen wollen“, wie es bei Facebook heißt. Das richtige Leben, es brodelt derzeit um eine Brunnenfigur.
In einer Woche kehrt der echte Esel zurück, raubsicher wird er mit dem Sockel verschraubt, standfest für die nächsten 100 Jahre. Anne Kupke freut sich auf das Comeback, gibt aber auch die Hoffnung auf eine Rückgabe der Shrek-Esel nicht auf. Die Diebe könnten sich melden, sagt sie, gern auch anonym. Immerhin haben die beiden Kunstharz-Tiere ein neues Kapitel einer alten Legende geschrieben, wie Tamara Schulze bei Facebook schreibt. Shrek l und II hätten einen Platz nicht nur auf dem Brunnen eingenommen, sondern auch in den Herzen der Hallenser. „Sie sind Ehrenbürger dieser Stadt geworden.“