Stille Lebensbeichten im Sanatorium

Halle/MZ. - Ein paar zusätzliche Stühle mussten herbeigeschafft werden, ehe Montag, der Kulturchef der Mitteldeutschen Zeitung ist, in der Lesung den verwickelten Lebenslinien seiner Figuren nachspürte.
Es sind klar erkennbare ostdeutsche Schicksale, die der 1956 in Gotha geborene Andreas Montag schildert - und damit offensichtlich an Erfahrungen der meisten Zuhörer anknüpfen kann. In einer Reha-Klinik an der Ostsee treffen die Protagonisten aufeinander: der ehemalige Stasioffizier Maroffke, der entlassene Bauingenieur Kühn, der frühere Theologiestudent Eberding, der seine Spitzeldienste noch zu DDR-Zeiten beichtete, und die verwitwete Supermarkt-Chefin Karin. Bei allen schlägt das Herz nicht mehr im rechten Takt. Im Montagschen Zauberberg am Meer sollen sie wieder gesunden.
Dort ist Zeit zum Grübeln, zum Besinnen, zum Bilanzieren. Stück für Stück enttarnt der Autor die aufgestauten Lasten der Vergangenheit. Unaufgeregt, fast lakonisch erzählt er aufschreckende Geschichten: über ein geheimes uneheliches Kind, saufende Väter, frustrierte Gattinnen, den zum Kommunisten gewendeten Nazi-Lehrer, eine Fehlgeburt nach der Spitzelbeichte, die Sucht nach Pornobildern kleiner Mädchen, den SS-Vater, der noch im Altersheim seine Kriegssicht verbreitet, den Sex mit der polnischen Putzfrau, das Einsitzen im Jugendwerkhof, den Verrat des Freundes an die Stasi, den frühen Tod der frömmelnden Mutter.
Die Biografien wurzeln in deutscher Vergangenheit und wachsen in den grauen Himmel des heutigen Deutschlands; dicht gedrängt auf knapp 180 Seiten. Manches Wiedererkennen blitzt in den Gesichtern der Zuhörer auf, und manches Lächeln - trotz der todernsten Geschehnisse; zum Beispiel über Sprachspiele wie "Von Zittau bis hinter Zinnowitz, das zieht sich".
Die Neugier, ob und wie die Herzkranken nun ihre Reha-Chance nutzen oder ob sich die Männer im Verdrängen treu bleiben, wurde jedenfalls geweckt. Auch wenn sich mancher im Publikum, ähnlich wie in einem Kästner-Gedicht, gefragt haben mag: "Und wo bleibt das Positive, Herr Montag?" Vielleicht hätte der Autor mit Kästner geantwortet: "Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt." Doch die Lesung hatte zu viel Zeit verschlungen, um darüber in großer Runde zu diskutieren. Es blieb allein das Gespräch mit dem Autor beim Signieren.