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Stadtteil Mühlwegviertel Stadtteil Mühlwegviertel: Hier brummt das Künstlerleben

Von Silvia Zöller 30.01.2018, 06:00
Anna Helm stellt Bücher in Handarbeit her. Auch die Formate sind ungewöhnlich.
Anna Helm stellt Bücher in Handarbeit her. Auch die Formate sind ungewöhnlich. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Sie sind einzeln in Seidenpapier eingewickelt. Und nur ganz vorsichtig traut man sich, die Seiten umzublättern, die Anna Helm kunstvoll zu ganz besonderen Büchern gebunden hat. Es sind Unikate oder Kleinstserien mit Auflagen von vier, sechs oder acht Stück. Es sind Kostbarkeiten, die ihren Preis haben und im Atelier der Buchgestalterin im Mühlwegviertel in Handarbeit hergestellt werden.

Halle hat mehr als 60 Stadtteile, Viertel und Stadtquartiere. Wir stellen alle vor: hier das Mühlwegviertel.

Buchkunst im Mühlwegviertel: Ein Buch über einen Alptraum von Albrecht Dürer geht sogar in den USA auf Reisen

Nach Ausstellungen in Oslo, Brüssel oder Lugano geht ab April ein großformatiges Buch von Anna Helm sogar auf die Reise in die USA. In einer Wanderausstellung zum Thema „Freud und Aspekte der Psychoanalyse in zeitgenössischer Buchkunst“ ist auch ihre kunstvolle Gestaltung einer Niederschrift Albrecht Dürers über einen Alptraum zu sehen: in New York, Minneapolis und San Francisco. „Das ist für mich eine Premiere“, so die 45-Jährige.

Mühlwegviertel in Halle (Saale): „Hier ist Leben in der Bude“

Entstanden ist das Buch wie auch alle anderen ihrer papierenen Kunstwerke in dem Gemeinschaftsatelier im Mühlweg, das sich die gebürtige Münchnerin mit sieben weiteren Künstlern aller Richtungen teilt. Seit mehr als zehn Jahren ist die Gruppe im Mühlwegviertel zu Hause, von einem unsanierten Hinterhof sind sie vor einigen Jahren in eine großräumige Wohnung in einem sanierten Haus gezogen. „Das Mühlwegviertel ist mein absolutes Lieblingsviertel, hier ist Leben in der Bude“, sagt Anna Helm.

Was ihr gefällt ist, dass sich hier Leben und Arbeiten treffen - so wie auch in früheren Jahren, wo es viele Kleinstverlage und Werkstätten rund um den Mühlweg gab. „Heute gibt es hier viele kleinste, kleine und mittelständische Unternehmen, es wird etwas gemacht - anders als in der Innenstadt“, erklärt sie. Die Lokale und Kneipen beleben das Viertel, zudem ist die Peißnitz nur einen Katzensprung entfernt.

Mühlwegviertel in Halle (Saale): Hier gibt es erschwingliche Mieten für Selbstständige

1991, direkt nach dem Abitur, kam Anna Helm aus München nach Halle. „Es war der erste Jahrgang, bei dem man sich an ostdeutschen Hochschulen einschreiben konnte“, sagt sie. Sie bewarb sich auf einen Platz für den Studiengang Buchgestaltung an der Burg Giebichenstein- der nach wie vor nur an wenigen Hochschulen in Europa angeboten wird. Anna Helm bekam den Platz: „Es war viel Glück und der Start in ein großes Abenteuer.“

Denn mit dem schmalen Studentenbudget konnte sie hier in Halle „völlig frei leben, so wie es in München nicht möglich gewesen wäre“, spielt sie auf die Lebenshaltungskosten hüben und drüben an. Aber es ist nicht nur das, sondern auch das Flair der Stadt, das sie hier hält. „Ich werde von Freunden aus München, Berlin oder Dresden beneidet“, verrät sie. Denn ein Atelier in der Innenstadt sei in diesen Städten unerschwinglich, Künstler würden dort an den Stadtrand gedrängt oder in Industriegebiete. In Halle dagegen gebe es erschwingliche Mieten für Selbstständige.

Buch „Böses Wasser“ ist im Rahmen eines Stipendiums entstanden

Und auch Förderung für Künstler. Das Buch „Böses Wasser“, das demnächst auf USA-Reise geht, ist im Rahmen eines Stipendiums der Kunststiftung entstanden. „Träume“ war das Thema der Reihe und Anna Helm stieß auf ein bislang nur handschriftlich vorliegendes Schriftstück Dürers im Kunsthistorischen Museum Wien. Darin schildert er einen schaurigen Alptraum, in dem er von Wassermassen verschlungen wird. Dann kam ein weiterer Zufall hinzu: Eine Bekannte übergab Anna Helm einen Restbestand eines nicht mehr käuflichen Filterpapiers aus einem Labor.

Anna Helm färbte das Papier Blatt für Blatt mit Wasserfarben ein, so dass schon das Papier an sich das Thema Wasser widerspiegelt. Die Worte Dürers ließ sie in einem Laserverfahren aus dem Papier ausschneiden.

Wer kauft ein solches besonderes Buch? „Die Bibliophilen finden uns schon“, sagt die Künstlerin. Buchgestalter bilden eine kleine, aber feine Szene. „Wir sind nicht vom Aussterben bedroht“, sagt sie. Nicht nur auf der Frankfurter Buchmesse, auch bei weiteren Fachveranstaltungen komme man in Kontakt mit potenziellen Käufern - neben Privatleuten auch Kunstbibliotheken oder öffentliche Sammlungen.

Buchkunst im Mühlwegviertel: „Durch die Burg gibt es richtig gute Leute in Halle“

Das meiste der handwerklichen Arbeit an den Büchern erledigt die Künstlerin in ihrem Atelier, das mit Presse, Schneidetisch, Papierlager und allem anderen Erforderlichen ausgestattet ist. Für manche Arbeiten, wie etwa beim Lasern der Buchstaben für das „Böse Wasser“ oder etwa bei Siebdruck greift sie auf Kollegen zurück.

„Durch die Burg Giebichenstein gibt es richtig gute Leute in Halle“, schwärmt sie. Die Absolventen der Burg kennen und helfen sich. Viele seien wie sie nach dem Studium in Halle geblieben, „wegen der guten Arbeitsbedingungen hier.“ Und gerade bei ihrer Profession, so ihre gefühlte Wahrnehmung „ist die Hälfte aller, die in Deutschland Buchkunst machen, in Halle.“ (mz)