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Stadtteil Frohe Zukunft Stadtteil Frohe Zukunft: Junge Familien entdecken das Arbeiterviertel

Von Silvio Kison 19.09.2017, 04:00
Annette und Torsten Mämecke vor ihrem Laden in der Frohen Zukunft
Annette und Torsten Mämecke vor ihrem Laden in der Frohen Zukunft Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Der Weg in die Frohe Zukunft führt auch gleichzeitig aus der Stadt heraus: Rechts und links von der Dessauer Straße breitet sich das Viertel aus. Heute ist die Straße gesäumt von niedrigen Plattenbauten - dahinter aber kommen die Einfamilienhäuser mit ihren kleinen Gärten und entfalten ein ganz eigenes Flair. Und ein Geschäft kennen die meisten Bewohner: den „Stop und Shop“ von Familie Mämecke im Kornblumenweg.

Halle hat mehr als 60 Stadtteile, Viertel und Stadtquartiere. Wir stellen alle vor: hier die Frohe Zukunft.

„Den Laden gibt es an dieser Stelle seit 1961“, sagt Annette Mämecke. Damals gehörte er noch der Familie Völlner und war ein reiner Milchladen - später wurde er zu einem wahren Tante-Emma-Laden. „Damals kamen die Kunden nicht nur zum Einkaufen, sondern man hat sich auch getroffen und ausgetauscht“, sagt sie. Das war auch noch im Jahr 1986 so, als Annette Mämecke als Verkäuferin dort begann zu arbeiten.

Kleinen Geschäften inmitten des Wohngebietes drohte das Aus

Nach der Wende drohte auch für das kleine Geschäfte inmitten des Wohngebietes das Aus. Der Retter war Torsten Mämecke. Damals waren die beiden noch nicht verheiratet - kannten sich noch nicht einmal. Torsten Mämecke reagierte auf eine Anzeige in der Zeitung, wo seine zukünftige Frau einen Betreiber für das Geschäft suchte. Es passte: Nicht nur mit dem Geschäft. „Vor allem wollte ich wieder zurück in diese Gegend ziehen, weil ich ursprünglich aus Mötzlich komme“, sagt er und fügt hinzu: „Obwohl ich in der Frohen Zukunft zur Schule gegangen bin, habe ich den Laden vor 1991 gar nicht gekannt.“

Seit damals hat sich das Gesicht des Stadtteils gewandelt - nicht zum ersten Mal in seiner jungen Vergangenheit: Die Frohe Zukunft selbst ist noch gar nicht so alt: Sie entstand, weil Wohnraum für Arbeiter der 1934 neu gegründeten Siebel-Flugzeugwerke benötigt wurde. Damals wurde die Rüstungsindustrie von der französischen Grenze nach Mitteldeutschland verlegt - den Machthabern schien der Schritt sicherer.

Durch den Bergbau stark unterhöhlten Untergrund

Parallel zu den Werksanlagen wurde innerhalb von nur vier, fünf Jahren das Wohngebiet „Frohe Zukunft“ für die Siebel-Angestellten und deren Familien aus dem Boden gestampft. Aus Gründen der Flugsicherheit und wegen des durch den Bergbau stark unterhöhlten Untergrundes durfte eine bestimmte Bauhöhe nicht überschritten werden.

Mit den Siebel-Werken geht aber auch eine traurige Vergangenheit einher: Am heutigen Goldberg gab es eine Außenstelle des KZ Buchenwald - 1.100 Häftlinge wurden zur Zwangsarbeit in dem Rüstungsbetrieb gezwungen. Und so wundert auch nicht, dass die Werke während des Zweiten Weltkrieges auch im Visier der Alliierten stand: Am 7. Juli und 16. August 1944 sowie am 30. März 1945 fielen dann Bomben der United States Army Air Forces auf das Werk.

Komplettes Flugzeugwerk demontiert und nach Russland gebracht

Das Ende der Siebel-Werke wurde 1946 besiegelt: Im Zuge der Reparation wurde das komplette Flugzeugwerk demontiert und samt Belegschaft und deren Familien nach Podberesje 120 Kilometer nördlich von Moskau gebracht, wo sie weiter für Russland arbeiten mussten.

Nach und nach zogen in die Einfamilienhäuser der Arbeiter und Angestellten neue Nachbarn ein, das Viertel veränderte sich. Und auch nach der Wende blieb die Zeit nicht stehen. „Am Anfang kamen die Kinder regelmäßig in unseren Laden - sie zeigten uns sogar noch vor ihren Eltern die Zeugnisse“, sagt Torsten Mämecke. Es war eine gute Zeit für die Geschäftsleute.

„Unsere Stammkunden wurden älter“

Dann aber wurde es ruhiger im Viertel: „Unsere Stammkunden wurden älter“, sagt Annette Mämecke. Eine harte Zeit für das Ehepaar und ihr kleines Geschäft, in dem man zwar alles für den täglichen Bedarf bekommt, aber die Inhaber preislich kaum mit den Discountern konkurrieren können, die sich ebenfalls in der Frohen Zukunft angesiedelt haben. „Wir sind eher das Geschäft, wo man hingeht, wenn man etwas beim Einkauf vergessen hat oder noch schnell Butter und Milch braucht“, sagt die 55-Jährige, die als Verkäuferin jeden Tag im Laden steht.

„So vor acht Jahren zogen dann auch wieder junge Familien in die Frohe Zukunft“, fügt ihr Mann hinzu. Nun ist wieder mehr Leben im Viertel. Und auch im Laden der Familie sieht man wieder häufiger Schulkinder, die auf dem Weg nach Hause noch schnell ein Eis kaufen und ihre Eltern, die nicht nur Butter und Milch holen, sondern auch noch die Neuigkeiten aus dem Viertel austauschen.

„Wir haben uns auf Delikatessen aus dem Tirol spezialisiert“

Dafür hat das Ehepaar hart gearbeitet und wurde dabei auch immer kreativer: So ziert seit einiger Zeit ein Wandbild einer Südtiroler Landschaft die Fassade. „Wir haben uns auf Delikatessen aus dem Tirol spezialisiert“, sagt Annette Mämecke. Natürlich gibt es weiter alle Lebensmittel des täglichen Bedarfs. Aber nun wird ihr Angebot um etwas ergänzt, das man nicht überall bekommt.

Ob sie in ihrem Stadtteil etwas vermissen? „Nein“, sagt Torsten Mämecke. Einzig ein bisschen mehr Gastronomie würde er sich wünschen. Aber wirklich brauchen tue er das auch nicht - die Innenstadt ist ja nicht weit weg. (mz)