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Seltenes Handwerk Seltenes Handwerk: Ein Stuhlsitz in zehn Stunden

Von Claudia Crodel 01.01.2017, 15:00
Der Meister bei der Arbeit: Für die Anfertigung oder Erneuerung eines geflochtenen Sitzes braucht Uwe Lohse auch viel „Sitzfleisch“.
Der Meister bei der Arbeit: Für die Anfertigung oder Erneuerung eines geflochtenen Sitzes braucht Uwe Lohse auch viel „Sitzfleisch“. Günter Bauer

Friedrichschwerz - Gerade ist Uwe Lohse in seiner Werkstatt in Friedrichschwerz (Stadt Wettin-Löbejün) dabei, mit Flechtfäden aus Rattan die Sitzfläche eines alten Stuhls neu zu bespannen. Faden für Faden wird in einer bestimmten Weise eingeflochten. „Etwa zehn bis zwölf Stunden benötige ich für eine solche Sitzfläche“, erläutert Lohse. Er ist Korbmachermeister und einer der letzten in einem Gewerk, das schon Tausende von Jahren alt ist, als eigener Beruf allerdings erst im 16. Jahrhundert auftaucht.

Zu DDR-Zeiten habe es über 70 kleine Korbflechtereien im damaligen Bezirk Halle gegeben. Zumindest in Halle und im nördlichen Saalekreis ist Uwe Lohse noch als einziger Handwerksmeister dieses Gewerks tätig. Und auch er hat bereits das offizielle Rentenalter überschritten. Ans Aufhören denkt der 67-Jährige allerdings noch nicht. „So lange ich noch flechten kann, werde ich weitermachen“, steht für ihn fest.

Uwe Lohse liebt nicht nur die handwerklichen Verrichtungen

Uwe Lohse liebt nicht nur die handwerklichen Verrichtungen, sondern auch den Umgang mit seinen Kunden. Auch das Vorführen seines Handwerks, beispielsweise bei Handwerkermärkten im Museum Petersberg, bereitet ihm Freude. Bis 2012 hatten er und seine Frau auch ein Korbwarenfachgeschäft in der halleschen Ludwig-Wucherer-Straße. Seit der Aufgabe des Ladens betreibt er nur noch ein Kleingewerbe in seiner Werkstatt in Friedrichschwerz.

In Lohses Familie hat die Korbflechterei Tradition. Der Großvater, Otto Hoyer, gründete den Betrieb im Jahr 1926 in Brachwitz. Uwe Lohses Vater, Herbert Lohse, war der Schwiegersohn von Otto Hoyer. Er machte 1956 den Meister im Korbmacher-Handwerk und übernahm die Firma, die 1963 nach Friedrichschwerz umzog, wo sie heute noch in der Coloniestraße ansässig ist.

Uwe Lohse lernte im väterlichen Betrieb

Uwe Lohse lernte im väterlichen Betrieb. Er hätte sich auch einen anderen Beruf vorstellen können. Doch weil der Vater wollte, dass er die Familientradition fortsetzt, hat er nie ernsthaft über etwas anderes nachgedacht. „Ich habe es auch nie bereut, dass ich diesen Weg gegangen bin“, meint er. Die große Begeisterung für die Korbmacherei sei natürlich erst während der Lehre entstanden, als er täglich damit zu tun hatte. 1974 wurde er selbst Meister. „Ich war damals der jüngste und beste Meister in der DDR“, blickt Lohse zurück.

Der Friedrichschwerzer kann viel über die Geschichte der Handwerkskunst der Korbmacher und die Korbmacherei in den unterschiedlichsten Epochen und Gegenden der Welt erzählen. Aber natürlich auch über die eigene Familiengeschichte, denn als der Großvater in den 20er Jahren als Korbmachermeister antrat, hatte er ganz andere Aufträge als Uwe Lohse heutzutage. „Mein Großvater stellte zu einem großen Teil Wirtschaftskörbe her für Buna“, sagt Lohse. Um seine Aufträge bewältigen zu können, habe er sogar eigene Weidenplantagen gehabt.

In den 60er Jahren verändert sich die Auftragslage völlig

In den 60er Jahren habe sich dann die Auftragslage völlig geändert, hin zu Wohnmöbeln. „Da wurden Stahlrohrmöbel beflochten und beispielsweise auch Uhrengeflechte hergestellt für Tisch- und Wanduhren mit Geflechtrand. Das war damals modern“, blickt Lohse zurück.

Mitte der 70er Jahre habe die Zusammenarbeit mit dem Kinderwagen-Hersteller Zekiwa in Zeitz begonnen. „Wir haben gemeinsam mit Zekiwa Kinder- und Puppenwagen entworfen“, so Lohse. Die seien in der DDR, vor allem aber auch ins Ausland gegangen: so nach Russland, Schweden, Frankreich, in die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz beispielsweise. Einige Kinderwagenmodelle hat Uwe Lohse selbst entworfen. Ein Bild von Modellen aus dem Jahr 1979 hat er in seiner Werkstatt hängen.

Nach der Wende brachen die Aufträge weg

Nach der Wende von 1989 brachen dann die Aufträge weg. Lohse, in dessen Werkstatt einst vier Korbmacher arbeiteten, machte als Einzelkämpfer weiter mit individuell gefertigten Wintergartenmöbeln, mit Bettgestellen und auch Schränken aus Rattan beispielsweise. Heute restauriert er vor allem alte Stühle mit Geflechtsitzflächen oder -lehnen. Bei schwierigen Aufträgen arbeitet er mit Restauratoren zusammen.

Er fertigt auf Auftrag Körbe fürs Kaminholz, Regalkörbe zum Aufbewahren von Krimskrams oder auch mal einen richtig schönen Handkorb an. Wichtigstes Material sind dabei Rattan und einheimische Flechtweide, sagt der Meister. (mz)

Eine ruhige Hand beim Flechten ist das A und O.
Eine ruhige Hand beim Flechten ist das A und O.
Günter Bauer