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Schwimmen Schwimmen: Theresa Michalak verlässt Sportgymnasium

Von Petra Szag 03.01.2013, 20:15

Halle (Saale)/MZ. - Wohl mehr gewohnheitsmäßig geht Theresa Michalaks Blick zur Uhr. Denn eigentlich ist es ihr egal, wie spät es ist, sie kann sich neuerdings Zeit lassen nach ihrem morgendlichen Training. Während es ihre Vereinsgefährten vom Schwimmbecken aus zu ihren Lehrbüchern zieht, wartet auf die Hallenserin weder Bio noch Mathe noch sonst irgendeine Prüfungsvorbereitung. Denn Deutschlands beste Lagenschwimmerin hat, wie man so sagt, die Schule geschmissen. Kurz vorm Anschlag, um im Schwimmerbild zu bleiben. Zugegeben, nicht ganz freiwillig.

Weltcup-Start bringt Fehlstunden



"Ich hasse es, etwas nicht zu Ende bringen zu können", sagt die 20-Jährige. Und fügt traurig an: "Ich hätte gern mein Abitur gemacht." Doch die Tür ist zu. Ein lange schwelender Streit war eskaliert, als Theresa Michalak gegen den Willen ihrer Schule in Halle Anfang Oktober zu den Weltcups nach Stockholm, Moskau und Berlin und danach noch ins Trainingslager nach Teneriffa geflogen war. "Alles Fehlstunden", sagt Theresa Michalak. Offenbar sah die Schulleitung das Abitur der Sportlerin gefährdet, die sowieso schon immer mächtig zu kämpfen hatte, um in Mathematik den Anschluss nicht zu verlieren.

Theresa Michalak sieht das dennoch anders. "Klar wäre es nicht einfach geworden, doch man hätte es mich versuchen lassen sollen. Wenn ich es dann nicht geschafft hätte, wäre das meine Niederlage, mein Problem gewesen." Als Schwimmerin wollte sie aber auf keinen Fall einen Gang zurückschalten. Im Sommer in London hatte sie sich mit ihrem Olympiastart einen großen Traum erfüllt. Und sich danach eine neue, große Aufgabe gestellt: 2016 in Rio will sie mit vorn dabei sein. Da kann man kein ganzes Jahr verschenken.

Status Eliteschule

Zu dem konkreten Fall Michalak wollte sich die Schulleitung nicht äußern, weil er offiziell nicht abgeschlossen ist. Sylvia Kasperek, die amtierende Leiterin des Sportgymnasiums in Halle, das wie die Sekundarschule dem Kultusministerium untersteht, sagt aber allgemein: "Oberste Priorität ist der Bildungsauftrag." Und betont: "Wir sind eine ganz normale Schule mit dem inhaltlichen Schwerpunkt Sport, keine Sonderschule." Am Unterrichtsstoff werden also keine Abstriche gemacht. Die Trainingsstunden sind um den Stundenplan herumgebaut. Von den Schülern erfordert das Durchhaltevermögen, Willenskraft und ein erstklassiges Zeitmanagement. "Keine Frage, die Belastung für die Kinder ist enorm", bestätigt Sylvia Kasperek.

Und doch macht die Ausrichtung auf den Sport Michalaks Schule zu einer besonderen: Sie ist eine von 41 bundesweit, die vom Deutschen Olympischen Sportbund den Status "Eliteschule des Sports" zuerkannt bekam. Sie erfüllt die Qualitätskriterien unter anderem mit Sportstätten, Internat und fachlicher Rundumbetreuung.

Der DOSB wirbt auf seiner Homepage damit: "Der erfolgreiche individuelle Bildungsabschluss und die Entwicklung zu einem mündigen Athleten, zu einer mündigen Athletin sowie die soziale Kompetenz haben den gleichen Stellenwert wie die sportliche Entwicklung im Sinne eines langfristigen Leistungsaufbaus."

Dass Schule und Training in Halle in diesem Sinne nicht optimal verzahnt sind, davon ist Michalaks Trainer Frank Embacher überzeugt. Gerade für so trainingsintensive Sportarten wie Schwimmen, Wasserspringen oder Turnen aber sei das wichtig. "Wenn wir so wie bisher weitermachen, wird es schwer, Leute nach oben zu kriegen", sagt der Meistertrainer. Warum also nicht die guten Erfahrungen anderer nutzen? In den Brandenburger Sportschulen zum Beispiel gibt es das additive Abitur. Statt konzentriert in drei Wochen fünf Prüfungen abzuverlangen, werden diese je nach Abschluss der einzelnen Fächer abgenommen, das Abitur gibt es scheibchenweise. Außerdem plädiert Frank Embacher für eine einzügige (klassenweise) Schulzeitstreckung an der Sportschule wie in Berlin, also für alle Schüler und zur gleichen Zeit. In Halle geht das individuell nur auf Antrag. Die Insellösungen fordern von allen Beteiligten einen immensen organisatorischen Aufwand.

Und der Trainer empfiehlt Nachhol-Möglichkeiten für Sportschüler nach Trainingslagern oder Wettkampfreisen in den kleinen Ferien sowie die Einführung von Blockunterricht. "Wenn so genannte Nebenfächer wie Musik gebündelt in zwei, drei Wochen gelehrt werden, wir dadurch jeden Tag eine Stunde weniger Unterricht und dafür eine mehr fürs Training haben, ist uns sehr geholfen", rechnet Frank Embacher vor.

Embacher gibt nicht auf

Ja, er hat sogar den kühnen Gedanken von einer privaten Sportschule. Finanziert unter anderem mit Schulgeld oder durch Stipendien, "so ähnlich wie in den USA", erklärt Frank Embacher. Und wünscht sich hier eine stärkere Verantwortung des DOSB. Als Standort käme - wegen der vom Sportbund vorgegebenen Kriterien - allerdings nur die jetzige Sportschule in Frage.

Olav Spahl, der Ressortleiter Nachwuchsleistungssport beim DOSB, hält einen solchen Vorschlag nicht von vornherein für unrealistisch: "Eliteschulen in privater Trägerschaft wären ein Exempel, eine solche ist mir bisher nicht bekannt", sagt er. "Wenn von gesetzlicher Seite alles geregelt ist, von sportlicher Seite würden kaum Argumente dagegen stehen."

Und was sagt das Kultusministerium in Magdeburg zu Frank Embachers Idee? "Die Sportschulen befinden sich in kommunaler Trägerschaft, hier in Trägerschaft der Stadt Halle. Öffentliche Schulen können nicht privatisiert werden", teilte Karina Kunze, Pressereferentin des Kultusministeriums mit. Und: "Schulen in freier Trägerschaft sind im Übrigen ebenfalls an die schulischen Standards gebunden, soweit sie als anerkannte Ersatzschulen anerkannte Abschlüsse vergeben wollen."

Schlechte Karten also für den Trainer, seine Ideen in die Tat umzusetzen. Er will dennoch nicht aufgeben, prüft weiter die Machbarkeit der Gründung einer Privatschule und sucht nach Lösungsmöglichkeiten in alle Richtungen.

Studienzulassung über Praktikum

Für Theresa Michalak käme eine Lösung des Problems eh zu spät. Sie tritt in den nächsten Tagen ihren Praktikumsplatz bei den Halleschen Stadtwerken an. Der verhilft ihr in einem Jahr zur Fachhochschulreife, mit der sie an der Trainerakademie studieren kann. Auch ohne Abitur.