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"Reisendenlenker" bei der Bahn "Reisendenlenker" bei der Bahn: Lebendige Wegweiser für S-Bahn-Kunden

Von Michael Falgowski 08.12.2016, 10:00
Drei Wochen lang betreuen Reisendenlenker die Fahrgäste auf dem neuen Bahnsteig. Fahrräder die Treppe hochtragen, dürfen sie aber nicht.
Drei Wochen lang betreuen Reisendenlenker die Fahrgäste auf dem neuen Bahnsteig. Fahrräder die Treppe hochtragen, dürfen sie aber nicht. Günter bauer

Halle (Saale) - Bei acht Grad minus um 4 Uhr am neuen Behelfsbahnsteig 13 a zu stehen, um im schneidenden Westwind Fahrgäste den Weg zu weisen: Das ist vielleicht der härteste Job, den die Bahn gerade am Hauptbahnhof Halle zu vergeben hat. Seit am Montagmorgen die S-Bahn 7, die zwischen Nietleben und Halle fährt, an dem neuen Gleis hält, verrichten zehn dieser Reisendenlenker, je fünf in zwei Schichten, ihre Tätigkeit als eine Art lebendiger Wegweiser. Praktisch 24 Stunden; die letzte S-Bahn fährt 0.50, die erste des Tages um 4.50 Uhr. Geplant ist dieser Service noch bis zum 24. Dezember.

Längere Wege am Hauptbahnhof: Etwa 2.000 Fahrgäste täglich

Die Reisendenlenker am Hauptbahnhof zu postieren, ist ein Service der Bahn in der Einführungsphase des neuen Bahnsteigs. Denn der befindet sich außen an der wegen der Bauarbeiten gesperrten Ostseite des Hauptbahnhofs. Mit der Inbetriebnahme des neuen Gleises ergeben sich für die laut Nahverkehrsgesellschaft Sachsen-Anhalt 2.000 bis 3.000 Fahrgäste in der S 7 längere Wege als bisher. Der Fahrplan sieht einen Fußweg von 250 Metern und zwölf Minuten Dauer vor.

Die eingesetzten Reisendenlenker sollen den Weg von und zum neuen Bahnsteig weisen, der zudem nur über eine eigens gebaute Treppe außerhalb des Bahnhof zu erreichen ist. Wie Streckenposten stehen die Bahn-Mitarbeiter verteilt. „Insgesamt ist die Inbetriebnahme des Bahnsteigs gut angelaufen, beim Bahnhofsmanagement gab es bisher keine Beschwerden. Beim Kundendialog der S-Bahn Mitteldeutschland eine einzige“, bilanziert ein Bahnsprecher. Bei den Reisendenlenkern haben sich aber viele Fahrgäste beklagt, dass auf dem neuen Bahnsteig kein Fahrkartenautomat steht. „Ein Fahrkartenautomat nebst Entwerter wird von Abellio gestellt, diese werden in den nächsten Tagen errichtet“, heißt es auf Nachfrage.

Bahnhof Halle: Ein weiteres Problem des Bahnsteigs

Ein weiteres Problem des Bahnsteigs lässt sich indes nicht so einfach lösen, schon weil mögliche Klageführer das Gleis 13 a gar nicht erreichen: Denn die Treppe als einziger Zugang stellt für Rollstuhlfahrer ein unüberwindliches Hindernis dar. Sie können also nicht mit der S-Bahn bis oder vom Hauptbahnhof aus fahren, müssen stattdessen auf Bus und Straßenbahn ausweichen. Darauf wird aktuell unter anderem mit Aushängen und Durchsagen hingewiesen. Auch in der Bahn und auf den Bahnsteigen.

Für Elke Richter aus Nietleben ist das indes kein Trost. Am 13. Dezember möchte sie mit Ehemann und dem 38-jährigen Sohn, der im Rollstuhl sitzt, nach München fahren. Im Oktober bereits hat sie deswegen die Fahrt vom Bahnhof Nietleben bis München beim Mobilitätsservice der Bahn angemeldet und gebucht. „Niemand hat mich damals darauf hingewiesen, dass das von Nietleben nicht geht. Die Mitarbeiterin hat sich nur gewundert, über den komischen Bahnsteig 13.“ Nun hat man Elke Richter mitgeteilt, sie solle Bus und Bahn bis zum Bahnhof nutzen.

Schwierigkeiten am Hauptbahnhof: Gibt es keine andere Möglichkeit?

Gibt es keine andere Möglichkeit, am Hauptbahnhof den neuen Bahnsteig zu erreichen oder zu verlassen? „Leider nicht. Zur eigenen Sicherheit der Rollstuhlfahrer ist ein Tragen zur Überwindung der Treppenanlage nicht möglich. Auch ist es aufgrund des Gewichts der Rollstühle schlicht nicht durchführbar“, so der Bahnsprecher. Er bedauere, dass nicht bereits beim Kauf des Tickets eine entsprechende Information erfolgt sei.

Halles Hauptbahnhof hat einen neuen Bahnsteig: Nummer 13a. An der neuen Außenplattform auf der derzeit gesperrten Ostseite des Hauptbahnhofs hält seit Montag dieser Woche die S-Bahn-Line 7, die halbstündig nach Nietleben pendelt. Im Sommer soll nach jetziger Planung die Regionalbahn 20 nach Merseburg und Naumburg hinzukommen. Der Interimsbahnsteig in Halle hat immerhin 1,2 Millionen Euro gekostet, bis Ende 2019 wird er genutzt, dann wieder zurückgebaut. Nötig war der Bau des zusätzlichen Gleises, um die Bahnsteige auf der offenen Westseite zu entlasten. Ende nächsten Jahres wird der neue Bahnsteig auch wieder über den neuen Personentunnel auf der Ostseite erreichbar sein. (mifa)

Im Vorfeld des 5. Dezember habe eine umfangreiche Information aller Verkehrsdienstleister am halleschen Hauptbahnhof zum Thema stattgefunden. „Von Nietleben besteht eine Direktverbindung mit dem Bus. Vor der Fahrt sollte Familie Richter allerdings bei den Verkehrsunternehmen anrufen, dann wird ein Niederflurbus eingesetzt.“ Eine unkomplizierte Anreise zum Hauptbahnhof sei also möglich.

Bahnhof in Halle: Kritik vom Behindertenverband

Für Uwe Willamowski vom Allgemeinen Behindertenverband in Halle ist dies aber keine ausreichende Lösung: „Für ein Unternehmen, dass zu 100 Prozent dem Staat gehört, ist es ein Schande, dass mobilitätseingeschränkte Personen mehr als ein Jahr lang einfach von einer Fahrt ausgeschlossen werden. Da hätte es doch andere Möglichkeiten gegeben: einen mobilen Linearfahrstuhl etwa.“

Wie der Bahnsprecher sagte, seien alle Möglichkeiten geprüft, aber doch aus wirtschaftlichen Gründen verworfen worden. Die Reisendenlenker dürfen übrigens an der Treppe nicht helfen: Offiziell dürfen sie weder Gepäck, noch Fahrräder die immerhin 33 Stufen der Treppe hinauf- oder hinuntertragen. Und schon gar keine Rollstühle. (mz)