Reden gegen den Backofen
Halle/MZ. - Es geht zu wie in einem Seminar und doch wieder nicht. Gemeinsam erarbeiten sich Referent und Zuhörer die Antwort. Melba: große Sängerin - Auftritt im Lohengrin - Begeisterung auch in der Ritz-Hotelküche - neue Kreation zur Verehrung der Dame aus Pfirsichspalten, den Schwanenflügeln nachempfunden... "Wie viel Zeit ist noch?" 13 Sekunden flüstert Ingrid Wolff. Das reicht, um mitzuteilen, dass der Pfirsich seinen Ursprung als "Persische Frucht" hat, man damit hierzulande auch die Pfirsichhaut in Verbindung bringt, und das Objekt ansonsten kulturgeschichtlich und sprachlich nichts hergibt.
Der Backofen piept. Augenblicklich schweigt der Referent, und es ist Zeit, die Situation aufzuklären: Was etwas hektisch anmutet, ist eine Veranstaltung der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek. Es geht um eine "Reise durch die Welt der kulinarischen Namensgebung". Und damit das Ganze nicht so trocken ist, hat Ingrid Wolff ihr Küchenstudio "Iwo" in der Burgstraße geöffnet. Dort ist Barbara Möllhoff, Hobby-Köchin und Siemens-Angestellte, schon seit Stunden in Aktion. Sieben Speisen, die alle etwas mit dem Thema des Abends zu tun haben, reicht sie an die etwa 30 Gäste aus.
"Sumpute" heißt das erste. Benannt nach seiner Schöpferin, die auch bei Siemens arbeitet. Geflügel und Gemüse, alles überbacken, die Pfirsichspalte fehlt auch nicht. Es schmeckt. Mangels Platz hält man den Teller auf dem Schoß. "Essen Sie manierlich, die Presse ist hier", ermahnt Lutz Kuntzsch, gebürtiger Dresdner, jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der GfdS, die sprachbegeisterten Genießer.
"Wie viel Zeit ist noch?" 20 Minuten bis zum nächsten Gang. Inzwischen geht es sprachlich an die Birne. Man ahnt, dass "Birne Helene" auch kulturelle Wurzeln hat. Offenbachs "Schöne Helena" musste dafür herhalten. Außerdem gibt es viele Arten von Birnen und jede Menge Redewendungen. Da sind die Glühbirnen und die Matschbirnen, und wer sich "einen in die Birne klopft", der hatte um 1875 einen über den Durst getrunken. "Wie viel Zeit ist noch?" "Neun Minuten!" Her mit dem Apfel, aber rasch! "Mein Gott, ich habe noch nie gegen einen Backofen gesprochen", sagt Kuntzsch.
Durch Deutschland zieht sich eine "Apfellinie". Oben gibt's den Apfel und unten den Appel, oben den Apfelwein und unten den Äppelwoi. Sorgsam verteilt sind Butzen, Bitzgi, Kitsche, Gröibschi, Griebsche, Kippe oder Krotzen, was alles nur Gehäuse sind. Hunderte von Apfelsorten haben hunderte von Namen. Purer Zufall lässt den einen als "Kaiser Alexander" brillieren und straft den anderen als "Breitarsch." Man könnte ewig drüber reden, aber: Der Backofen piept.