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Max-Planck-Direktorin erklärt sich Proteste gegen Norman Finkelstein: Direktorin vom Max-Planck-Institut für Ethnologie erklärt sich

26.01.2017, 08:30
Marie-Claire Foblets
Marie-Claire Foblets Günter Bauer

Halle (Saale) - Nach den Protesten gegen zwei Vorträge des amerikanisch-jüdischen Politologen Norman Finkelstein am halleschen Max-Planck-Institut für Ethnologie nimmt Direktorin Marie-Claire Foblets Stellung. MZ-Redakteurin Silvia Zöller befragte die Professorin zu den Konsequenzen, die das Institut nun zieht.

Der Aufenthalt Norman Finkelsteins am Max-Planck-Institut hat für viel Wirbel gesorgt. War nun auch das Seminar zum Thema „Gaza“ so turbulent?
Foblets: Die 32 Teilnehmer, vor allem Doktoranden, haben Finkelstein viele kritische Fragen gestellt. Es ging um eine Analyse seiner Thesen und viele der Nachwuchswissenschaftler waren nach der Veranstaltung weniger überzeugt von ihnen als vorher. Konkrete Themen, die für unsere Forschung sehr wichtig sind, waren zum Beispiel die Frage nach der Verhältnismäßigkeit beim Einsatz von staatlicher Gewalt. Dass ein Staat im Fall von Krieg unter Umständen Gewalt ausüben darf, kann legal sein. Die Frage, was verhältnismäßig ist, ist aber im Einzelfall sehr schwer zu beantworten. Dabei spielen auch moralische Erwägungen eine Rolle, die sehr wichtig sind.

Warum gab es mit Finkelstein einen öffentlichen Vortrag in der Vorwoche, aber dann am Montag einen Workshop, zu dem nur Interne zugelassen waren?
Foblets: Der Workshop war nur für Interne, da er Teil unserer wissenschaftlichen Arbeit am Institut ist. Workshops wie diese sind Teil der Ausbildung von Doktoranden und zur Vorbereitung waren 180 Seiten Lektüre notwendig: Neben Teilen von Finkelsteins noch unveröffentlichtem, aber von den Gutachtern sehr gelobtem Manuskript haben wir uns auch mit dem 2015 erschienenen UN-Bericht zum Gaza-Konflikt auseinandergesetzt. Nur wenn man dieses Material vorab gelesen hatte, ergab eine Teilnahme Sinn. Darüber hinaus bieten wir am Institut auch öffentliche Veranstaltungen an, bei denen jeder willkommen ist.

Kritiker behaupteten, Sie seien auf die Kontroverse anlässlich des Finkelstein-Workshops nicht vorbereitet gewesen und über seine umstrittenen Thesen zum Israel-Konflikt nicht informiert gewesen?
Foblets: Diesen Vorwurf muss ich zurückweisen. Als Wissenschaftlerin kenne ich die Publikationen von Herrn Finkelstein und auch die Kontroversen, die er damit ausgelöst hat. Ich habe ihn bereits während meiner Zeit in Leuven eingeladen, weil er in seinen Publikationen das Meinungsbild in vielen arabischen Ländern abbildet. Gerade die Auseinandersetzung mit anderen Positionen ist so wichtig für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Die Doktoranden müssen lernen, mit kontroversen Meinungen umzugehen. Wichtig ist mir dabei auch, dass sie sich die Frage stellen, wie sie in ihrer eigenen Forschung mit Kontroversen umgehen, bevor sie damit schließlich in die Öffentlichkeit gehen und kommunizieren. Wir bereiten unsere Nachwuchswissenschaftler hier nicht nur auf eine akademische Karriere vor, sondern auch darauf, dass sie später als Sachverständige wichtige gesellschaftliche Aufgaben wahrnehmen - und dabei geht es oft um sehr problematische Themen.

Prof. Dr. Marie-Claire Foblets stammt aus Belgien und leitet seit 2012 die Abteilung Recht und Ethnologie am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle. Sie ist auch Honorarprofessorin an der Uni Halle sowie Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Zuvor leitete sie das Institut für Ausländerrecht und Rechtsanthropologie an der Katholischen Universität Leuven. (szö)

Und intern? Gab es da aufgrund der zahlreichen Proteste aus Deutschland, Israel und Amerika auch im Institut den Wunsch, den Workshop abzusetzen?
Foblets: Wenn die angemeldeten Teilnehmer das Gefühl gehabt hätten, dass der Workshop als politische Veranstaltung missbraucht wird, hätten wir ihn abgesetzt. Doch das hat niemand so gesehen – wir führen akademische Diskussionen, keine politischen. Da sind offenbar in der Öffentlichkeit Ebenen vermischt worden. Wir sind Wissenschaftler, die sich mit kontroversen Thesen beschäftigen, die die Zukunft beleuchten. Mit dem Finkelstein-Workshop für Aufregung zu sorgen, das war nicht unsere Absicht.

Doch es gab Aufregung. Haben sie etwas Vergleichbares schon einmal in ihrer wissenschaftlichen Arbeit erlebt?
Foblets: Ja, einmal im Zusammenhang mit der Beratung der belgischen Regierung zum Thema Minderheiten. Da gab es viel Aufregung in Belgien, jedoch nicht darüber hinaus. Dass wir auf solche Reaktionen hier gestoßen sind, ist neu für mich. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wird das hier offenbar anders wahrgenommen als beispielsweise in Belgien. Ich habe viele Mails aus Deutschland, der Schweiz oder Frankreich bekommen von Personen, die sich gewundert haben, dass es überhaupt eine Debatte um den Finkelstein-Workshop gab, weil auch sie die Auseinandersetzung angesichts der aktueller Entwicklungen in unserer Welt als notwendig erachten. Zum Schluss geht es dabei auch um die akademische Freiheit.

Hätte nicht einfach mehr Öffentlichkeitsarbeit des Max-Planck-Instituts viel Wind aus den Segeln genommen?
Foblets: Ich bin nicht sicher, denn wir informieren auf unserer Website ausführlich über öffentliche Veranstaltungen. Und wir haben mit Absicht auch einen öffentlichen Vortrag von Herrn Finkelstein ins Programm genommen. Ich plane auch, weitere Experten nach Halle einzuladen, die an den unterschiedlichsten Konfliktsituationen in der Welt arbeiten.

(mz)