Ostrock in Ha-Neu Ostrock in Ha-Neu: Freitag ist Rockfestival in Halle-Neustadt

Halle/Naunhof/MZ - Wer in diesen Tagen zu Wolf Rüdiger Raschke fährt, trifft einen Mann, der mit der Welt im Reinen zu sein scheint. Raschke ist der Bandleader von Karussell, einer der erfolgreichsten Rockgruppen von früher. 16 Jahre lang war die Musik für ihn ein abgeschlossenes Kapitel. Heute ist er 66 und steckt mitten in der nächsten Tour. Freitagabend ist Karussell der Hauptact beim Rockfestival in Halle-Neustadt. Für die Band, die seit 2007 in neuer Besetzung ein unerwartetes Comeback erlebt, ist es eine Rückkehr. „Das erste Mal in Halle-Neustadt seit Ende der 80er Jahre“, sagt Raschke. „Wir freuen uns riesig.“
Karussell und Halle-Neustadt - man kann diese Geschichte als Analogie erzählen. 180 Konzerte gab Karussell zu DDR-Zeiten im Jahr. „Totgemuggt“, so Raschke, habe man sich damals in der Enge der kleinen Republik. Kurz nach der Wende gab es für Karussell jedoch scheinbar keine Zukunft mehr.
Uneindeutigkeit der Lyrik
„Die Ost-Bands waren satt gehört, alle Verträge waren gekündigt - für uns war das wie ein Berufsverbot.“ Raschke wurde zum Hotelier, hatte „mit der Szene abgeschlossen“. Sein Sohn Joey Raschke betrieb das Comeback der Band. Mit neuem alten Gesicht erlebt Karussell nun eine zarte Renaissance. „Es war eine Rückbesinnung auf uns, und die Fans machen mit. Ich hätte nie gedacht, dass auch so viele junge Menschen zu den Konzerten kommen.“
Vor der Garage hinter dem Hotel, das Raschke in Naunhof bei Leipzig betreibt, steht der Tour-Van, der die Garage jedoch nie von innen gesehen hat. Denn seit Jahrzehnten ist hier die Herzkammer von Karussell. Hier entstehen die Songs, früher auf Texte von Größen wie Kurt Demmler oder Michael Sellin. Die Uneindeutigkeit der Lyrik, in die hinein man die eigenen, oft verbotenen Sehnsüchte und auch die Kritik legen konnte, ohne dass vordergründig zu viel gesagt war - wer den Erfolg vieler Ost-Bands zu DDR-Zeiten ergründen will, bleibt meist an dieser Erklärung hängen.
„Als ich fortging“
Wolf Rüdiger Raschke kramt in einer Kiste und in seinen Erinnerungen. „Das Bild ist in Halle-Neustadt entstanden“ - ein Poster in der Zeitschrift „Melodie & Rhythmus“ von 1981. Mehrmals im Jahr sei man in Halle und Halle-Neustadt aufgetreten. Große Open-Airs auf der Peißnitz, einmal gemeinsam mit der dänischen Band The Poets („das war etwas ganz Besonderes“), ungezählte Auftritte in der Schorre, aber auch in der Neustädter Klubmensa oder im Bauarbeiterzentrum „Dreckiger Löffel“. „Solche Kulturzentren für 300 bis 400 Leute gab es in vielen Neubauvierteln“, sagt Raschke. „Da haben wir sehr gerne gespielt, denn dort wohnten viele junge Leute, die oft eine völlig andere Denkweise hatten, jenseits der verkrusteten Strukturen.“
Viele Stoffe für spätere Lieder seien beim gemeinsamen Bier mit den Fans nach den Auftritten gereift. „Das Lied ,Autostopp‘ geht direkt auf eine Geschichte aus Halle-Neustadt zurück: Ein Fan wollte per Anhalter in den Harz, und die Bonzen sind sonst wohin raus auf ihre Datschen und einfach an ihm vorbeigefahren“, erzählt Raschke. Daraus wurde ein Karussell-Hit: „Da fahr'n sie vorbei, / o Mutter Tugend, / da fahr'n sie vorbei / an ihrer Jugend.“
Heute wird auch bei Karussell Klartext gesungen. Das Comeback-Album „Loslassen“ ist die Verarbeitung der Zeit nach der Wende. „Wir mussten ein Land loslassen, Freunde, Familienmitglieder - das tut weh, und trotzdem wird nicht gejammert“, sagt Raschke. „Nichts ist von Dauer, was keiner recht will“, heißt es im größten Karussell-Hit „Als ich fortging“. Karussell will noch und wird das Lied sicherlich morgen auch in Neustadt spielen.