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Olympiade 1960 Olympiade 1960: Nehlitzer ritt durch Rom

Von Daniela Kainz 14.05.2002, 18:15

Nehlitz/MZ. - "Kennst du die Leute?" fragt Robert Seidel. Offensichtlich ist der Besuch dem Pony kein Begriff - "Racker" schüttelt seinen Kopf. Mit 39 Lebensjahren ist das Tier aussichtsreicher Anwärter auf einen Antrag im Guinness-Buch der Rekorde. "Filou gib Pfötchen", fordert der Hausherr dann den Berner Sennenhund seiner Schwiegertochter auf. Und tatsächlich hebt der Vierbeiner zur Begrüßung kurz die rechte Pfote. "Bei mir muss jedes Tier trainiert sein", erklärt der 80-Jährige die Kunststücke seiner Lieblinge stolz.

Von Tieren ist er schon sein ganzes Leben umgeben - auch beruflich war das so. Die Liebe zu Pferden brachte Seidel 1960 sogar zu den Olympischen Spielen nach Rom. Ein unvergessliches Erlebnis für ihn. Eine Überraschung für seine Nachbarn. Als der Nehlitzer jetzt zum Dorfabend des Heimatvereins von seinen Erinnerungen als Mitglied der gemeinsamen deutschen Mannschaft berichtete, staunten viele: "Mensch, das haben wir ja gar nicht gewusst." "Ich denke mir nichts aus, es ist alles wahr", ergänzt der Senior, wann immer er von der Olympiade erzählt, seine Berichte. Zum Beweis legt er seinen grünen Teilnehmerausweis auf den Tisch oder holt seine blaue Mannschaftsjacke aus dem Kleiderschrank.

Reitlehrer Seidel, 1959 Deutscher Meister im Fahren mit Zweispännern und Chef der einstigen Zentralen Trainingsstätte für Reitsport am Kreuzvorwerk in Halle, begleitete damals den bekannten Reiter Manfred Nietschmann, der als Ersatzmann für die westdeutschen Reiter nach Italien fuhr. Oder genauer gesagt - Seidel sorgte sich um das Pferd Nietschmanns und fuhr mit dem Tier 22 Stunden per Zug ins sonnige Italien.

Vor Antritt der Reise wurden nicht nur Vorbereitungen für einen eventuellen Wettkampfeinsatz von Reiter und Pferd getroffen. Die Olympiateilnehmer mussten sich auch in Etikette schulen lassen. "Wir haben sogar geübt, wie man richtig Spaghetti isst", so Seidel. Letzten Endes sei er aber gar nicht dazu gekommen, seine mühsam erlernten Fertigkeiten auszuprobieren. "In der ganzen Zeit kamen nicht ein einziges Mal Spaghetti auf den Tisch. Unsere Mannschaft hatte doch ihren eigenen Köche mitgebracht."

Ansonsten entging Seidel kaum Landestypisches. Bei einer Erkundungstour durch die Stadt kam er an der Residenz des Papstes vorbei. Und aus nächster Nähe nahm Seidel das Olympiastadion unter die Lupe: "Das war eine Pracht - alles aus Marmor." Nicht nur zu Fuß ging der Olympiateilnehmer auf Entdeckung. "Ich kann durchaus von mir behaupten, schon einmal durch Rom geritten zu sein." Das Pferd von Nietschmann führte er auf den Reitwegen der italienischen Kavalleristen zum Training - einspringen für einen ausgefallenen Reiter mussten Nietschmann und sein Pferd allerdings nicht.

Am liebsten würde Seidel auf seine alten Tage ein Buch schreiben - unter dem Titel "60 Jahre Umgang mit Pferden". Doch ob sich jemand findet, der die Aufzeichnungen veröffentlicht? Der Nehlitzer ist sich da nicht so sicher. Sein Wissen aber sei heute noch sehr gefragt. Es gehöre nämlich schon viel Einfühlungsvermögen dazu, "zwei Lebewesen unter einen Hut zu bringen". Regelmäßig, so erzählt der Rentner, werde er von jungen Leuten mit dem Auto abgeholt. Sie fahren mit ihm zum Reiterhof nach Merbitz, wo er Kindern das "ABC des Pferdesports" beibringt.