Nach dem schweren Unwetter im Saalekreis Nach dem schweren Unwetter im Saalekreis: Beseitigung der Sturmschäden beginnt

Halle (Saale) - Es ist früh am Morgen, gerade kurz nach 6 Uhr. Auf Halles Straßen herrscht Betriebsamkeit. Berufsverkehr, der tägliche Stau auf der Hochstraße. Eins aber ist anders an diesem Mittwoch. Die Autoschlange zwischen Riebeckplatz und Rennbahnkreuz interessiert die Sprecher der Verkehrsnachrichten nicht.
Es gibt Wichtigeres: die gesperrten Straßen in Halles nördlichen Stadtteilen und in den umliegenden Saalekreis-Orten. Trümmer liegen dort auf den Fahrbahnen, umgestürzte Bäume machen die Wege unpassierbar - trotz stundenlangen Einsatzes Dutzender Feuerwehren. Dölau, Lieskau, Lettin, Schiepzig. Vier Orte am Stadtrand von Halle, in denen der Gewittersturm vom Dienstagabend kaum ein Haus verschont hat. Doch statt tiefer Bestürzung über die Schäden ist es purer Aktionismus, den man spürt. Es wird angepackt. Wenn’s sein muss, gleich beim Nachbarn, erst dann auf dem eigenen Grundstück.
In Lieskau ist Peter Franz seit Stunden auf den Beinen. Geschlafen hat der 67-Jährige kaum. Nur kurz hat er die Augen zugemacht, sich einige Momente ausgeruht. Kurz vor 7 Uhr steht der Lieskauer schon wieder mit Besen und Schaufel in der Hand auf der Straße. Wie in der Nacht zu gestern auch. Gemeinsam haben Peter Franz, dessen Frau und alle anderen Anwohner des Lieskauer Kuckuckbergwegs angepackt. „Die Trümmer lagen ja überall auf der Straße verteilt.“ Familie Franz hatte Glück. Einige wenige Ziegel haben die heftigen Orkanböen herabgerissen.
Peter Franz’ Nachbarn hat es schlimmer erwischt. Fast das komplette Dach ist abgedeckt. Ziegel, Dämmwolle, Folie, Holzlatten - alles ist auf der Straße, im Vorgarten und auf dem Gehweg gelandet. „Der Spuk hat vielleicht fünf Minuten gedauert. Wir mussten uns erst einmal orientieren, als alles vorbei war“, sagt Peter Franz. Doch bei allem Schaden: Allein gelassen wird niemand.
„Alle Nachbarn sind gleich rausgekommen und haben mit Besen und Schaufeln die Straße frei gemacht. Die Feuerwehr wusste ja gar nicht, wo sie anfangen sollte.“ Vor 20 Jahren ist Peter Franz von Franken nach Lieskau gezogen. Des Berufs wegen. „So ein Unwetter habe ich noch nicht erlebt“, sagt er.
Gefegt und geschippt wird zu dieser Stunde auch im benachbarten Halle. Genauer in Dölau. Wo sonst Vögel und Frösche ein Morgenkonzert geben, kreischen die Kettensägen. Das Wohnviertel „Eigene Scholle“ ganz am westlichen Rand der Stadt hat der Sturm besonders getroffen. In der als Idylle bekannten Gegend herrscht Chaos. Umgekippte Bäume hängen halb auf Grundstücken, zur anderen Hälfte auf Straßen und Gehwegen. Wie Streichhölzer hat der Orkan Tannen und Kiefern abgeknickt, Dächer von Häusern gerissen und durch die Luft gewirbelt.
Die Stadtverwaltung in Halle hat wegen des Gewittersturms am Dienstagabend ein Bürgertelefon eingerichtet. Dort können sich von Sturmschäden betroffene Einwohner der Saalestadt melden und informieren. Das Bürgertelefon der Stadtverwaltung ist laut Pressesprecher Drago Bock erreichbar unter 0345/2 21 51 33 und 0345/2 21 51 34. Der Notruf unter der 112 ist weiterhin geschaltet.
Unterdessen warnt die Stadt vor dem Betreten der Dölauer Heide und anderer Waldgebiete. Eine Vielzahl von Bäumen ist abgeknickt oder entwurzelt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, so Bock, dass weitere Bäume umstürzen. Wegen Aufräumarbeiten sind zudem der Gertraudenfriedhof, der Friedhof Kröllwitz, der Friedhof Lettin und der Stadtgottesacker geschlossen. Die Friedhofsverwaltung informiere die Angehörigen, wenn Termine für Trauerfeiern verschoben werden müssen, so Bock.
Es gibt mittlerweile auch ein amtliches Hilfeersuchen der Stadt Halle an den Saalekreis. Zur Ablösung der bisher im Dauereinsatz tätigen Kräfte wurden vier Feuerwehren angefordert. Die Anfrage wurde vom Landkreis sofort bewilligt.
Den Kopf lässt aber auch in diesem Teil von Dölau niemand hängen. „Wer eine Kettensäge hat, holt sie und packt mit an“, sagt Andreas Wollmann. Den 46-jährigen Geologen hat es selbst hart getroffen. Fast alle Bäume auf seinem Grundstück sind umgestürzt, einer liegt auf dem kleinen Firmenbüro, das Auto ist Schrott. Doch Wollmann kann lächeln. „Die Hilfe unter den Nachbarn hat richtig gut geklappt.“
Obwohl es fast alle in Dölaus Eigener Scholle hart getroffen hat, wird geholfen. Auch bei Dietmar Virkus. Heute wollte der Hallenser auf seinem Grundstück seinen 60. Geburtstag feiern. Doch genau dort liegt jetzt das Dach seines Hauses. Virkus hält die Tränen nicht zurück. „Wir waren gerade fertig. Jetzt fangen wir noch einmal von vorn an.“ Dietmar Virkus bekommt am Ende jedoch besondere Hilfe. Sohn Christoph kommt aus Leipzig. Um seinen Vater beim Aufräumen zu unterstützen. (mz)
