MZ-Gespräch mit Regionalbischof Johann Schneider MZ-Gespräch mit Regionalbischof Johann Schneider: "Das Fest kommt zur richtigen Zeit"
Halle (Saale) - Die Liste seiner Lebensstationen ist lang: München, Tübingen, Neuendettelsau, Erlangen, Rom, Hannover und, seit November 2011, Halle. Seine Kindheit und Jugend jedoch verbrachte Johann Schneider in Rumänien, im siebenbürgischen 3.000-Einwohner-Ort Meschen nahe Mediasch. Die Erinnerungen an die Weihnachtsfeste, die er dort feierte, prägen ihn bis heute. MZ-Redakteur Peter Godazgar sprach mit ihm.
Weihnachten ist hierzulande das Familienfest schlechthin. In Ihrer alten Heimat in Siebenbürgen wurde das Fest aber gänzlich anders gefeiert.
Schneider: Ja, es war in erster Linie ein Fest der Gemeinschaft. Eine Bescherung, wie ich sie dann in Deutschland kennenlernte, gab es nicht. Unsere Bescherung fand in der Kirchengemeinde statt im Rahmen eines Gottesdienstes.
Und innerhalb eines eigentlich totalitären sozialistischen Systems.
Schneider: Ja, das geschah sozusagen am Rande der Legalität. Es gab in Meschen eine evangelische und eine orthodoxe Kirche und eine Roma-Gemeinschaft. Die Verbindungen innerhalb dieser Gemeinschaften konnte die Staatsmacht letztlich nie völlig zerstören.
Wie sah die Bescherung in der Kirche aus?
Schneider: Das war natürlich eine Herausforderung angesichts der herrschenden Armut. Aber ausnahmslos jedes Kind erhielt ein Päckchen: Äpfel, Nüsse. Und Lebkuchen. Zu den Ritualen gehörte, dass man das Päckchen nicht gleich öffnete, sondern wartete, bis man zu Hause war. Ich muss zugeben: Das habe ich nicht geschafft. Aber allein diese Lebkuchen zu backen, war eine enorme Leistung. Ich erinnere mich an eine abenteuerliche Geschichte: Mein Vater war in der LPG, sein Brigadier war ein Roma, Jonasch, ein herzensguter Mann mit dickem Bauch. Nun gab es in einem Jahr keinerlei Weizen, weil die gesamte Ernte exportiert worden war. Das einzige was blieb, war die sogenannte Staatsreserve. Die lagerte in Getreidekisten in verschlossenen Räumen in der LPG. Mein Vater und Jonasch, der Roma, haben das Getreide für die Lebkuchen, tja, letztlich geklaut.
Weihnachten war ein Lichtblick.
Schneider: Unbedingt. Wir haben Weihnachten als Fest der Freude gefeiert in einer insgesamt deprimierenden Lebenssituation. Ich möchte fast sagen: Man kann Weihnachten im Wohlstand kaum richtig feiern. Mit sattem Magen wird das zu einer intellektuellen Angelegenheit.
Gab es ein traditionelles Weihnachtsessen?
Schneider: Heiligabend gab es immer Polenta, das Brot des armen Mannes. Und wenn wir schon ein Schwein geschlachtet hatten, gab es auch Wurst dazu. Aber meine Mutter wollte immer lieber erst nach Neujahr schlachten. Dann musste man die Wurst von woanders her organisieren. Man muss übrigens noch bedenken: Heiligabend und die Weihnachtstage waren keine Feiertage in Rumänien. De facto wurde dann eben geschwänzt, in der sozialistischen Arbeit war das ja möglich.
Sie haben bis zu ihrem 22. Lebensjahr in Rumänien gelebt. Dann durften sie und ihre Eltern nach Deutschland ausreisen. Wann wussten Sie: Ich will weg aus Rumänien?
Schneider: Ich würde sagen: Es gab einen Sog und einen Druck. Um die endlosen Formalitäten der Ausreise begann ich mich mit etwa 16 Jahren zu kümmern. Die Perspektive, in einem freien Land zu leben, wurde ironischerweise genährt durch die jungen Leute aus der damaligen DDR, die im Sommer mit ihren Kraxen bei uns vorbeikamen. Von denen lernte ich: Man kann viel freier leben; es gibt Länder, in denen man nicht dauernd darauf achten muss, was man sagt. In den 1980er Jahren konnte man in Rumänien schon allein die deutsche Sprache im öffentlichen Raum nicht mehr angstfrei benutzen. Das war natürlich bedrückend. Mein Vater war allerdings ganz strikt gegen die Auswanderung.
War die Ankunft in Westdeutschland ein Kulturschock?
Schneider: Ja und Nein. Für meine Eltern war er das auf jeden Fall. Insgesamt bekamen wir vermittelt: Ihr seid Deutsche zweiter Klasse. Wir lebten dann zunächst unter sehr prekären Bedingungen, mein Vater arbeitete hilfsweise auf einem Reiterhof. Er wollte aber arbeiten, er konnte nicht zu Hause sitzen.
Erinnern Sie sich an ihrer erstes Weihnachtsfest im Westen?
Schneider: Ja! Und das war enttäuschend! Das war 1985 in Würzburg. Wir gingen Heiligabend in einen Gottesdienst, und das erste was uns auffiel, war: Es wurden ganz andere Lieder gesungen, moderne Lieder, die wir nicht kannten. Überhaupt war es in unseren Augen keine stille Nacht, sondern eine laute Nacht. Dazu hielt der Pfarrer eine sehr populistisch-politische Predigt, auch das hat mich enttäuscht. Ich ging dann in den Dom in Würzburg und freute mich dort an den klassischen Liedern.
Eine Bescherung in der Kirche gab es auch nicht.
Schneider: Nein, die gab es nicht. Und mein Vater kommentierte das mit dem Satz: Entweder, die sind zu arm oder zu geizig.
Seit wann gibt es dann bei Ihnen daheim eine Bescherung?
Schneider: Das hat eigentlich erst angefangen, als ich meine Frau kennenlernte und als unsere Kinder geboren wurden. Bis dahin dachte ich: Warum soll man sich Heiligabend was schenken? Es ist ja nicht mein Geburtstag, sondern der eines anderen.
Heute wird in manchen Familien über eine Begrenzung der Zahl der Geschenke diskutiert.
Schneider: Das überzeugt mich alles überhaupt nicht. Ein Geschenk ist doch eine Form der Wertschätzung. Ein Geschenk braucht ein inneres Ziel. Es muss eine persönliche Note haben.
Was ist Ihnen dann wichtig?
Schneider: Die Familienbesuche empfinde ich als viel wichtiger als die Geschenke.
Aber wir leben nun einmal in einem reichen Land.
Schneider: Natürlich, aber der Überfluss macht es schwer. Ich empfinde es tatsächlich mitunter als regelrecht beschämend wie gut es uns geht. Die Freude ist im Mangel zwangsläufig wesentlich größer.
Nun sind Sie hierzulande als Christ wieder Teil einer Minderheit in einer Gesellschaft, die wiederum Weihnachten auf geradezu exzessive Weise feiert.
Schneider: Das würde ich gerne besser verstehen: Was feiern meine lieben Mitmenschen eigentlich? Weihnachten ist das religiöse Ereignis, das am stärksten präsent ist. Das merkt man ja auch an den Gottesdienstbesuchen an Heiligabend. Die Kirchen sind übervoll. Am ersten Weihnachtstag sind die Gottesdienste dann schon wieder total schlecht besucht. Ich nehme außerdem wahr: Es darf nicht zu religiös werden. Die Krippenspiele, die wenig religiöse Botschaften haben, kommen am besten an. Wenn sich Schaf und Esel unterhalten, ist die Freude bei den Besuchern am größten.
Kann man mit Blick auf die Flüchtlingskrise sagen: Weihnachten fällt dieses Jahr in besonders dramatische Zeiten?
Schneider: Ich würde sagen, das Fest kommt zur richtigen Zeit.
Wir werden viele Appelle hören.
Schneider: Bestimmt, aber davon halte ich persönlich nicht viel. Güte kommt aber aus dem Herzen, nicht aus dem Kopf. Erst die Begegnung macht möglich, dass ich mit dem anderen in Beziehung trete. Appelle werden auf taube Ohren stoßen, jedenfalls werden sie Skeptiker nicht überzeugen. Ich ermutige darum in diesem Jahr unsere Pfarrer: Holt die Flüchtlinge in die Weihnachtsgottesdienste. Ladet sie ein! Lasst sie erzählen!
Wie durchbrechen Sie selbst den Weihnachtsstress?
Schneider: Indem ich mir in der Adventszeit ganz bewusst Stunden in meinen Kalender eintrage, zum Beispiel zwischen zwei Terminen. Dann beantworte ich keine E-Mails, dann schalte ich das Telefon aus.
Und dann?
Schneider: Dann gehe ich spazieren. Und sortiere meinen Kopf. (mz)