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Moot Court in Halle Moot Court in Halle: «Rotkäppchen» als Gerichtsverhandlung

Von katja pausch 07.12.2012, 20:03

Halle (Saale)/MZ. - Ist er schuldig oder nicht? Auf den ersten Blick scheint klar zu sein, dass der jedermann gut bekannte Wolf aus dem Märchenbuch der Brüder Grimm sich eines Verbrechens schuldig gemacht hat. Immerhin hat das Raubtier sowohl die Großmutter als auch das liebenswerte junge Rotkäppchen gefressen - und damit auf dem Gewissen. Doch wie jeder juristische Fall ist auch dieser zu einem nicht geringen Teil Auslegungssache, hängt so manche Entscheidung vor Gericht von den Argumenten der "Rechtsverdreher" ab. Und so ist denn bekanntermaßen "Recht haben" nicht dasselbe wie "Recht bekommen".

Einen erneuten Beweis dafür traten am Nikolausabend Professoren und Mitarbeiter der Juristischen Fakultät in einem nicht ganz ernstzunehmenden Moot Court an. Vor der inszenierten "märchenhaften" Gerichtsverhandlung, die den Auftakt zu einer etwas anderen, nicht minder fröhlichen Weihnachtsfeier der Juristen bildete, bekamen die Studenten noch den Nikolaus zu Gesicht.



In der bis auf den letzten Platz besetzten Aula der Universität im Löwengebäude stand dann der Wolf in Gestalt von Professor Winfried Kluth vor Gericht. Die Anklage gegen ihn lautete auf versuchten Totschlag mit Freiheitsberaubung, verlesen von Richter Peter Mertens, im "richtigen Leben" Chef des Merseburger Amtsgerichts. Isegrimm Wolf, wohnhaft in der Wolfshöhle 1 im Märchenwald, habe im Februar des Jahres aus Fressgier und mit Heimtücke zwei Menschen versucht zu töten. Er habe, so Mertens' vom Publikum mit Gelächter quittierter Tatvorwurf, zunächst das Rotkäppchen mit der Aufforderung, Nutrias an der Saale zu füttern, vom Wege abgebracht, anschließend sich Zugang zur Seniorenresidenz auf der Peißnitz verschafft und die dort wohnende Großmutter (Susann Kroke) verschlungen. Das später am Tatort eintreffende Rotkäppchen sei ebenfalls gefressen worden. "Nur dem Eingreifen eines Zeugen, des Jägers Walter Waldschrat, ist es zu verdanken, dass nichts Schlimmeres passierte", so der Richter.

Ganz anders hingegen schilderte Isegrimm Wolf das Geschehen. Er habe seine eigene Mutter im Heim besuchen wollen, im Nebenzimmer aber die 92-jährige jammernde, lebensmüde Großmutter des Rotkäppchens mit den Worten "das Leben lohnt sich, machen Sie weiter" aufmuntern wollen. Diese sei ihm plötzlich in den Rachen gesprungen und habe ihn somit "als ein Werkzeug zur Selbsttötung" missbraucht. "Eine Klage wegen Körperverletzung behält sich mein Mandant noch vor - gegen den Jäger", so Verteidiger Reimund Schmidt-De Caluwe, der mit Argumenten wie "Notwehr" auf Freispruch plädierte.

Obwohl nicht alle Aussagen der in den Zeugenstand gerufenen Personen - Rotkäppchen (Kirsten Krohan), das mit angebrochener Sektflasche "Rotkäppchen süß" erschien, deren alkoholabhängige Großmutter sowie Jäger Waldschrat (Malte Stieper) und Heimbewohner Heinz Sorgsam (Carsten Hörich) - glaubhaft waren, sprach Richter Mertens nach Beratung mit seinen beiden Schöffen das Urteil: Sechs Jahre Haft wegen versuchten Mordes an der Großmutter und versuchten Totschlags am Rotkäppchen. Da half auch das vom Verteidiger eingebrachte "in dubio pro lupus" - im Zweifel für den Wolf - nichts. Lediglich den Tatbestand der Fressgier sehe das Strafgesetzbuch nicht vor, räumte Richter Mertens ein. Begeisterter Beifall war nach eineinhalb Stunden Verhandlung der Lohn für diesen märchenhaft inszenierten Prozess.